Ich würde dich so gerne kuessen
bemerkt es niemand. Wir haben seit unserer ersten Begegnung an der Bar im Exit nicht mehr miteinander gesprochen, obwohl er bei fast jeder Party auf Jeffers Dach mit dabei ist, aber ab und zu sind sich unsere Blicke begegnet, zufällig, unerwartet. Ich bin kein guter Blickhalter, also hatte ich meinen schnell wieder gesenkt, zu schnell, um mehr zuzulassen als nur einen zufälligen Blick. Und jetzt flirtet er mit meiner Kamera, nicht mit mir.
Ich fühle mich hinter der Kamera wohl, nicht so unsicher wie sonst bei solchen Veranstaltungen. Ich verstecke mich, ich lasse die Leute mit der Kamera sprechen. Ich bin der stille Beobachter. Aus Angst. Vielleicht. Vielleicht bin ich mehr ein Einzelgängertyp? Aber eigentlich nicht. In meiner Zukunft sehe ich mich immer von vielen Leuten umgeben. Wunschdenken. Die Gegenwart sieht anders aus. Man kann nicht raus aus seiner Haut. Oder doch? Überhaupt gibt es wirklich einen Unterschied zwischen dem Leben, das man sich erträumt, und dem, das man wirklich lebt. Wird das für immer so bleiben oder hört das irgendwann auf? Edgar unterbricht meine Grübeleien, kommt auf mich zu und grinst in die Kamera.
»Läuft das Ding?«
»Logisch! Da, rotes Lämpchen. Siehst du? Lämpchen an – Kamera läuft.«
»Gut, dann halt mal auf mich.«
Er nimmt eine steife Haltung an, wie Menschen es oft vor der Kamera tun.
»Ladys and Gentlemen, ich präsentiere Ihnen hiermit die wohl originellste Band …«
»Originell?« Ich schaue vom Sucher hoch und sehe Edgar mit gerunzelter Stirn an.
»Hey!!! Ich glaube nicht, dass Kamerafrauen einfach dazwischenreden dürfen!«
»Schon gut, hast recht … aber originell?«
»Die wohl originellste Band, seit unsere Väter angefangen haben, Familien zu gründen!«
»Na, so lange ist das nun auch nicht her!«
»Klappe! Kamerafrau! Klappe!« Er wirft mit Erdnüssen in meine Richtung.
Ich richte die Kamera auf die Band. Na okay, sie sind schon gut, originell auf keinen Fall, aber gut. Und der Sänger ist charismatisch, auf jeden Fall. Manchmal ist das vielleicht ungerecht, aber ohne charismatischen Sänger hat eine Band keine Chance. Und der hier taugt wirklich was. Wäre ich gerade nicht so sehr mit anderen Dingen beschäftigt, würde ich mehr Zeit in Gedanken an den Black-Birds-Sänger verschwenden.
Jeffer tanzt vor der Bühne. Es tut mir mal ganz gut, ihn nur aus der Ferne zu beobachten.
Ich setze mich an die Bar, bestelle Africola und sehe ihn mir genau an, diesen schönen Typen, der schon wieder sämtliche weibliche Blicke auf sich gezogen hat.
Er ist sexy. Definitiv. Er wäre auch ein guter Frontmann einer Band. Man kann sich nach ihm verzehren. Ich könnte das tun. Jetzt, aus der Ferne. Und vielleicht tue ich das auch. Aber wenn er mir nah ist, kann ich das nicht. Tue ich es nicht. Dann ist plötzlich etwas anders. Etwas. Was bloß? Und sehe nur ich das oder geht es den anderen auch so?
»Na, da ist der gute Jeffer wieder ganz in seinem Element«, sagt Edgar, der sich mit seinem Whiskey zu mir setzt.
»Ja. Was meinst du mit Element? Was ist sein Element?«, frage ich nach, vielleicht kann Edgar ein bisschen Licht ins Dunkel bringen.
»Ich meine, er ist jetzt am meisten er selbst.«
»Schon klar, aber was bedeutet das. Ich meine, was ist er denn jetzt?«, hake ich noch einmal nach.
»Der coole Unerreichbare. Niemand kommt an ihn ran. Alle denken, sie könnten es, sie könnten ihn irgendwann knacken, aber das ist eine Illusion.«
Und da fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Edgar hat recht. Er ist der Unerreichbare und das macht ihn sexy. Aber der Unerreichbare zu sein, kann doch unmöglich bedeuten, dass man dann man selbst ist. Und wenn das so ist, wenn Jeffer niemals er selbst ist, dann ist dies hier alles nur ein Spiel. Ein sich ständiges Verstecken. Ich verschenke meine Gefühle an jemanden, den es so gar nicht gibt.
Ich kriege plötzlich schlechte Laune.
Ich fühle mich so, als wäre ich in eine Falle getappt, als hätte man mich reingelegt. Als hätte Jeffer mich reingelegt. Er hat mich ganz nah in sein Leben geholt, dabei ist er unerreichbar. Da kann ich mich anstrengen, wie ich will, ich habe einfach keine Chance. Und dabei tut er immer so, wie vorhin im Park, macht alles schön und geheimnisvoll und besonders. Dabei hat er gar nichts zu verlieren. Als Unerreichbarer kann man nichts verlieren.
Ich fühle mich auf einmal wie so ein doofes Mädel, das auf blöde Sprüche und schöne Augen reingefallen ist.
Scheiße!
Ich
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