Ich würde dich so gerne kuessen
brav?«
»Brav? Nein, auf keinen Fall!«
»Bitte?«
»Ach Quatsch, natürlich bin ich brav. Alles ist gut, macht euch keine Sorgen.«
»Deine Mutter lässt fragen, ob ihre Blumen noch leben.«
»Natürlich. Sag Mama, sie soll sich lieber mal entspannen, statt an ihre Blumen zu denken.«
»Ja. Aber sag noch mal, isst du auch gut?«
»Oh Gott! Natürlich … hör zu, die Verbindung wird schlecht … ich … hörst du mich noch?«
»Frieda?«
»Ich höre dich ganz schlecht. Lasst es euch gut gehen! Wir sehen uns in zwei Wochen!«
»Frieda?«
Ich lege auf.
»Von wegen, du kannst nicht lügen!«, lacht Jeffer.
»Ich fühle mich schrecklich dabei.«
Und wirklich, schon habe ich ein schlechtes Gewissen. Ich überlege, meinen Vater zurückzurufen und ihm alles zu beichten. Papa, ich bin überhaupt nicht brav, ich schwänze die Schule, ich trinke Alkohol, und Maja ist in unserer Wohnung, und ich weiß gar nicht, was sie da eigentlich treibt. Außerdem liege ich öfter mal im Bett mit einem Typen, den ich noch nicht besonders lange kenne.
Mann, ich bin wirklich eine miese Tochter.
»Meinst du, deine Eltern haben das nicht gemacht?«
»Was?«
»Ihre Eltern angelogen. Und ihre Eltern haben wieder ihre angelogen und so geht das immer weiter.«
»Ja, schon klar. Ich fühle mich nur schlecht, sie so in ihrer Abwesenheit zu hintergehen.«
»Fühlst du dich wirklich schlecht?« Jeffer kräuselt seine Stirn und sieht mich ungläubig an.
»Wenn sie anrufen, schon.«
»Okay. Sie haben angerufen, du hast die Verbindung abgebrochen und jetzt vergiss sie.«
»Du hast leicht reden. Du wohnst ja nicht bei deinen Eltern. Du bist niemandem Rechenschaft schuldig.«
»So toll ist das auch nicht.«
»Ach nee. Jetzt geht das wieder los! Sei froh, dass du so eine tolle Familie hast. Ich an deiner Stelle … Blablabla. Mann, Maja sagt mir das auch immer. Die würde sogar gerne mit meinen Eltern ins Aquarium gehen. Echt. Verkehrte Welt oder so. Ich versteh euch nicht.«
»Natürlich verstehst du uns nicht. Ich gäbe einiges darum, wenn meine Mutter sich um mich sorgen würde.«
»Oh Gott. Mir wird schlecht!« Ich tue so, als würde ich mir den Finger in den Hals stecken.
»Du bist so was von arrogant!« Jeffer schüttelt den Kopf.
»Ha! Das sagt der Richtige! Ich fasse es nicht«, rege ich mich auf.
Er kneift mich in die Seite, dass ich einen Hüpfer mache und fast in einen Fahrradfahrer reinfalle.
Wir albern ein bisschen herum, schubsen uns und stellen dem anderen ein Bein, wie kleine Kinder, die endlich mal ohne Aufsichtspersonen unterwegs sind.
Dann sitze ich auf einem alten Sofa eines Secondhandladens und sehe Jeffer dabei zu, wie er sich in Schale wirft. Abgetragene Lederjacken, Schlagjeans, Hawaiihemden. Ich selbst habe ein paar Boots aus dunkelbraunem Leder an den Füßen, die schwer wiegen und zunächst mal unbequem wirken.
»Sehen aber echt super aus!«, sagt Jeffer und fügt hinzu: »Wer schön sein will, muss leiden. Du weißt ja, Image ist alles!«
Ich bin mir wirklich nicht sicher, ob Image alles ist, aber cool sehen sie schon aus, also laufe ich doch mal eine Weile durch den Laden, um mich an diese Schuhe zu gewöhnen. Jeffer ist noch lange nicht fertig mit seiner Modenschau.
»Ich kaufe nur einmal im Jahr Klamotten, aber dann richtig. Wie findest du dieses Cowboyhemd?« Er dreht sich und zeigt sich mir von jeder Seite.
»Sehr cowboyhaft.« Ich rümpfe die Nase.
»Das ist nicht sehr hilfreich.«
»Ich bin kein guter Styling-Berater. Du hast sowieso den besseren Geschmack von uns beiden.«
»Deshalb rate ich dir dringend zu diesen Schuhen!«
Mit Jeffer macht alles Spaß. Sei es eben lästiges Klamottenkaufen, sei es der lang angehäufte Abwasch oder das abendliche auf dem Dach Liegen und Sterne Angucken. Jeffer hat immer gute Laune, Jeffer hat immer einen guten Spruch parat, Jeffer schafft es, dass ich mich ausnahmslos wohl bei ihm fühle. Wenn ich jetzt kurz zurückdenke, war das von Anfang an so, schon an meinem Geburtstag, als ich mit ihm bei der türkischen Familie am Grill saß. Maja würde jetzt so ein Wort einfallen wie Seelenverwandte, aber ich will nicht ganz so pathetisch werden. Ich fühle mich einfach nur sehr gut aufgehoben, und ich weiß gar nicht mehr recht, wie mein Leben vorher funktioniert hat. Ist das vielleicht einer dieser Wendepunkte im Leben, von denen immer so viel gesprochen wird? Wie viele solcher Wendepunkte gibt es eigentlich in einem einzigen Leben? Sollte ich
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