Ich würde dich so gerne kuessen
Wende miterlebt. Du hast genauso wenig Ahnung wie ich.«
»Und das mit den Schnauzbärten?«
»Ja das, das lässt sich wirklich nicht leugnen.«
Wir müssen kichern, weil wieder so zwei Prachtexemplare am Fenster vorbeilaufen.
Und schon ist alles gut zwischen uns. Für den Moment.
Nach dem Fisch sitzen wir auf der Promenade und lassen unsere Beine ins Leere baumeln.
Jeffer hat ein Muschelarmband für mich gekauft. Friedensangebot. Ich nehme es an, obwohl ich trotzdem das Gefühl habe, als wäre das alles noch nicht geklärt.
Die Menschen flanieren gemütlich um uns herum. Ich sauge meine Lungen voll mit dieser guten Salzluft, für die die meisten hier auf Kur gekommen sind. In der Schule nehmen sie bestimmt gerade irgendein langweiliges Gedicht durch. Von Wäldern und Nymphengesang oder so. Langsam werde ich doch neugierig, was sich so in meiner Abwesenheit dort getan hat. Dank Maja bin ich bestimmt Pausengespräch. Vor den Lehrern wird sie mit Sicherheit versuchen, mich zu decken, aber vor dem Pausenklatsch wird sie mich nicht bewahren können. Wahrscheinlich wird sie sich sogar was Interessantes über mich ausgedacht haben, schon allein um eine gute Story zu haben. Und in der Raucherecke verbreiten sich Neuigkeiten in rasantem Tempo.
»Ich glaube, wenn wir wieder in Berlin sind, werde ich gleich vom Bahnhof nach Hause müssen«, sage ich.
»Müssen oder wollen?«
»Na ja, meine Eltern kommen wieder, und ich muss mal schauen, in welchem Zustand unsere Wohnung ist. Also müssen.«
»Ich kann dir eine Entschuldigung schreiben.«
»Entschuldigung? Wofür?«
»Für unerlaubtes Fernbleiben.«
»Du glaubst gar nicht, wie sehr ich mich auf meine Unabhängigkeit freue. Auf eine eigene Wohnung, auf meinen eigenen Zeitplan. Wenn man immer tun kann, wonach einem ist … das muss doch großartig sein! Aber das weißt du ja.«
»Ich muss trotzdem Dinge tun, auf die ich keine Lust habe.«
»Ja, aber du brauchst dich vor niemandem rechtfertigen.«
Jeffer lacht. »Ich glaube, du wirst dich ganz schön wundern.«
»Ach Mensch, red nicht so erwachsen!« Ich boxe ihm freundschaftlich gegen die Schulter.
»Ich lebe schon über zwei Jahre alleine.«
»Und würdest du lieber wieder zu deiner Mutti ziehen?«
»Lieber würde ich mich aufhängen!«
»Siehst du.«
»Auf jeden Fall solltest du nicht mit dieser Maja zusammenziehen.«
»Du kennst sie kaum.«
»Ich kenne sie. Sie würde dir alles vermiesen.«
»Ich weiß nicht, warum du das denkst. Maja ist meine beste Freundin.«
»Noch ein Grund mehr, um nicht mit ihr zusammenzuziehen.«
»Könntest du überhaupt mit jemandem zusammen leben?«
»Wenn’s nicht länger als ein Monat ist.«
»Du bist echt komisch, weißt du das?«
»Ich werte das mal als Kompliment.«
»Werte es, als was du willst.«
Jeffer legt den Arm um mich und wir starren in die Wellen.
Kurz vor sechs machen wir uns wieder auf den Rückweg. Der Rucksack auf Jeffers Rücken ist gefüllt mit Proviant, Bier und irgendeinem Schnaps. Ich habe mir geschworen, keinen Schnaps mehr mit Jeffer zu trinken.
»Weißt du was? Wenn wir wieder in Berlin sind, dann gehen wir mal miteinander aus. So richtig offiziell. Ich hole dich in deiner Tempelhofer Wohnung ab, sage Mama und Papa ›Hallo‹, bezahle für dich das Kino und Popcorn und dann setzen wir uns noch in irgend so ein Café.«
Ich ziehe meine Augenbrauen hoch. »Klingt furchtbar langweilig.«
»Ich hatte noch nie so ein Date«, sagt er gespielt sehnsüchtig.
»Das glaube ich dir sofort.«
»Vielleicht macht das ja Spaß.«
»Macht es nicht. Ich hatte schon einige solche Dates«, winke ich ab.
»Mit mir wird es etwas Besonderes.« Er klimpert mit den Augen.
»Ach, ja?«
»Du musst mir schon eine Chance geben.«
»Na ja. Einen Versuch ist es vielleicht wert.«
Als wir wieder beim Haus ankommen, steht die Sonne schon tief und taucht das Wasser in ein warmes Orange. Wir ziehen uns einen Pulli über und setzen uns wieder an den Strand. Jeffer versucht, das Lagerfeuer wieder zu entfachen, und öffnet sein drittes Bier. Wir haben beschlossen, die Nacht durchzumachen. Vielleicht unsere letzte gemeinsame Nacht.
Ich werde vom Bahnhof wirklich wieder nach Hause fahren müssen, ansonsten halte ich das nicht aus. Ich werde Jeffers Wohnung vermissen. Bestimmt werde ich ihn wieder besuchen, aber dann werde ich als Gast dort sein, für ein paar Stunden. Ich werde mir dort nicht mehr die Zähne putzen und den Tag im Bett verbringen. Ich werde nicht
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