Ich würde dich so gerne kuessen
denkt, es hätte mir irgendwas bedeutet. Aber er ist nicht dumm. Ich habe mich verraten. Wahrscheinlich schon die ganze Zeit. Ich bin eben nicht gut darin, Spiele zu spielen. Das kommt davon, wenn man in so einer idyllischen Familie zusammenlebt, da braucht man so etwas nicht zu lernen. Und wieder bin ich das kleine Mädchen, das keine Ahnung von der großen Welt hat. Danke Mama, danke Papa.
Ich laufe ein bisschen schneller, um Jeffer jetzt nicht in die Augen sehen zu müssen. Am Ende breche ich noch in Tränen aus und das könnte ich mir nicht verzeihen.
So ein Idiot! Warum musste er jetzt darauf zu sprechen kommen? Er hätte einen wenigstens vorwarnen können.
Das Ziel unseres Ausflugs erscheint mir plötzlich sinnlos, ich habe den Appetit verloren.
Wäre ich jetzt Jeffer, würde ich, einfach umkehren, ohne ein Wort. Aber ich bin immer noch ich, und deshalb stapfe ich tapfer durch den Sand und versuche, durchzuatmen und wieder ein bisschen runterzukommen.
Nur, was denkt er sich eigentlich? Ich hatte die ganze Zeit wirklich dagegen angekämpft, darüber zu reden. Ich wollte nicht schon wieder kompliziert sein, so eine Tussi, und er platzt damit heraus, als wäre alles nur ein Witz. Als würde man dauernd Dinge tun, die einem nichts bedeuten. Als wäre das alles so einfach.
»Frieda!«, ruft Jeffer und läuft hinter mir her. »Bleib doch mal stehen, verdammt.«
Ich bleibe nicht stehen, ich laufe einfach weiter, ich könnte wahrscheinlich endlos weiterlaufen. Ich beschleunige sogar.
»Frieda!«
Ich zähle innerlich bis zehn, dann drehe ich mich zu ihm um.
»Was?«, brülle ich ihn an.
»Warum bist du sauer?«, fragt er in ruhigem Ton, sodass ich mich gleich wieder schäme, laut geworden zu sein.
»Ich bin nicht sauer«, antworte ich.
»Du lügst.«
»Ach komm. Lassen wir das einfach. Vergiss es.«
»Das war ein Scherz. Ich wollte dich nicht betrunken machen und ich habe es auch nicht. Und ja, ich habe dich geküsst. Ich ganz allein.«
»Hast du.«
»Trotzdem hast du es mir nicht gerade schwergemacht.«
»Und wenn schon.«
»Ich würde es jederzeit wieder tun.«
»Aber ich bestimmt nicht.«
»Das habe ich mir fast schon gedacht.«
»Gut. Dann hätten wir das auch geklärt.«
Ich lasse mich in den Sand fallen und zünde mir eine Zigarette an. Auf der rechten Seite sieht man schon die Promenade und bunte Menschenpunkte, die sich langsam bewegen.
Es wird uns guttun, unter Leute zu kommen. Ich denke, wir waren jetzt zu lange einfach nur mit uns selbst beschäftigt. Vielleicht sollten wir auf der Promenade ein Scheiß-Eis essen. Ich sehe zu Jeffer rüber. Er zieht irgendwie wütend an seiner Zigarette und starrt aufs Meer. Ist er vielleicht beleidigt, weil ich gesagt habe, dass ich ihn nie mehr küssen würde? Aber selbst schuld! Wenn er mich so unvorbereitet in solche Gespräche verwickelt, darf er sich nicht wundern, wenn ich dann Dinge sage, die ich möglicherweise gar nicht so meine. Jeffer reicht mir mit verkniffenem Gesicht die Hand und zieht mich aus dem Sand. Wir laufen weiter, aber wir reden nicht mehr. Sehen nur immer wieder aufs Wasser hinaus, schauen den Möwen zu, die auf kleine Fische lauern.
In Warnemünde sitzen wir in der Fischbraterei und obwohl die Saison noch nicht angefangen hat, ist jeder freie Platz besetzt. Es gibt Pommes und Salat und gebratenen Fisch. Mein Hunger hält sich in Grenzen, aber der Fisch ist gut. Jeffer trinkt ein Bier. Wir sehen aus dem Fenster, beobachten die Leute, die draußen vorbeilaufen, und versuchen etwas lustlos, zu erraten, ob Ossi oder Wessi. Meistens tippen wir ähnlich. Die mit den Schnauzbärten sind auf jeden Fall Ossimänner. Die mit den vielen Kindern auch. Die ohne Kinder, oder nur mit einem, oder aber mit Hund sind natürlich Wessis. So einfach ist das.
»Meine Mutter ist auch typisch Ossi, findest du nicht?«
»Na, ist sie doch auch.«
»Schon, aber man sieht es ihr auch an.«
»Ach ja? Und woran?«
»An ihrer Leidensmiene.«
»Wessis leiden auch.«
»Ja, aber anders. Philosophischer. Während Ossis bodenständiger leiden.«
»Ich weiß das wirklich nicht.«
»Für dich spielt es keine Rolle, weil du ein Wessi bist.«
»Na, jetzt sprichst du aber ganz wie deine Mutter!«
»Ich leide nicht, ich leugne nur nicht den Unterschied.«
»Ich leugne gar nichts. Ich halte das nur für Zeitverschwendung. Dieser Unterschied und das alles. Das wird von den Medien gemacht und alle reden darüber. Wir haben doch noch nicht mal richtig die
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