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Ich zog mit Hannibal

Ich zog mit Hannibal

Titel: Ich zog mit Hannibal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Baumann
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Schlaf jetzt!«
    Die Wunde tat nun nicht mehr weh. »Wie meinst du das mit Suru?«, fragte ich.
    Silenos mischte mir etwas zu trinken. »Es schmeckt bitter«, kündigte er an, als er mir die Schale brachte. »Aber du wirst schlafen.«
    Ich wollte nicht trinken und blieb bei meiner Frage.
    Da stellte Silenos die Schale weg und begann mit gedämpfter Stimme von Suru zu sprechen. Er versuchte mich mit seinen Worten zur Ruhe zu bringen. An alles, wovon beim ersten Gespräch an der Elefantenfurt die Rede gewesen war, erinnerte er mich nun: an die Wälder unter dem Dach der Welt, in denen Suru aufwuchs, an die Schluchten, überquellend von Leben, an die Mandelblüten, größer als Schmetterlinge, an die weißen Nächte, in denen unter riesigen Bäumen Yaks und Kaninchen auf Moosteppichen spielen und Elefanten tanzen, verzaubert vom Mond, bis sie mit dem Mond in den Dschungel eingehen, lautlos wie Wolken in das Dunkel des Himmels. »Suru hat einen weiten Weg vor sich   – bis an den Anfang, aus dem er kam, zurück über Berge und Eis, durch Wüsten und Flüsse und blühende Länder. DieserWeg bleibt keinem erspart, der sich in das große Abenteuer einlässt, das bei den Indern Mahaprasthan heißt. Aber sei unbesorgt: Er kommt wieder. Es gibt keine größeren Wanderer auf der Welt als Elefanten: immer unterwegs und immer miteinander in Verbindung. Du weißt, dass sie einander Botschaften zusenden, und du kannst sicher sein: Suru wird sich bei dir melden, wenn er sich erst mit dem abgefunden hat, was nun ist. Du musst ihm Zeit lassen, er hat jetzt viel zu tun: die Fessel abzustreifen, die sie ihm angelegt hatten, und er muss das funkelnde Kreuz, das aus seinem gewaltigen Haupt ragt, loswerden. Wenn er über alle Wunden hinaus ist, wird er sich bei dir einfinden; denn du bist sein Indos; dich hat er sich ausgesucht und du hast nie etwas anderes gewollt, als mit ihm zu ziehen   –«
    Vor dem Zelt wurde nach Silenos gerufen. Er ging hinaus.
    »Ich muss zu Hannibal«, sagte er, als er wiederkam. »Er will mir diktieren.« Silenos nahm sein Schreibzeug. »Trink die Schale leer«, sagte er, »dann wirst du schlafen.« Er beugte sich über mich. »Bleib bei mir, bis die Wunde geheilt ist«, flüsterte er mir zu. »Nur noch so lange!«
    Dann ging er zu Hannibal.

33
    Nun war ich allein. Ich nippte an der Schale. Der Trank schmeckte bitter. Da ließ ich sie stehen. Die Wunde tat nicht mehr weh. Mein Blick fiel auf den Dolch, den Karthalo mir gegeben hatte. Er hing an einem der Zeltpfosten. Ich begann zu grübeln. Mit dem Dolch hatte Karthalo Suru eine Wunde zugefügt, um ihm zu helfen. Unverwandt sah ich den Dolch an.
    Und dann stand ich auf. Ich nahm den Dolch und verließ das Zelt. Am Himmel waren Sterne, kein Mond. Die Nacht war dunkel und warm. Ohne zu überlegen, begann ich zu gehen. Ich wurde nicht angerufen, als ich das Lager verließ. Nur wenige Posten waren aufgestellt   – es gab keinen Feind mehr.
    Außer dem Dolch hatte ich nichts zu tragen. Ich ging leicht dahin. Der Arm tat so wenig weh, als hätte ich keine Wunde. Nun, da ich mich auf den Weg gemacht hatte, Suru zu suchen, war alle Unruhe von mir abgefallen. Ich war so sicher, ihn zu finden, dass ich mir Zeit ließ. Ich brauchte ja nur zum See zu gehen, dessen Ränder am Morgen Nebel gedeckt hatte, und dann den Hügel hinauf   – da musste er sein. Ich ging, ohne mich umzusehen. Die halbe Nacht ging ich so. Da kam der Mond über den Horizont herauf, eine rote Sichel, und nun sah ich den See. Er schimmerte, von leichten Nebeln bedeckt. Und da war auch der Hügel. Ich ging hinauf.
    Ich sah Suru liegen. Sein Schädel und mächtiger Leib hoben sich gegen den Nachthimmel ab. Ich sahüber seinem Schädel ein kleines Kreuz funkeln: Hannibals Schwert. Der Knauf blitzte kalt. Da ließ ich meinen Dolch fallen.
    Ich rannte den Hügel hinauf, um Hannibals Waffe an mich zu reißen. Als ich nach ihr griff, fiel ich und schlug mit Schulter und Kopf gegen den Felsen, der auf dem Hügel lag, groß und gewaltig wie ein Elefant. Über seinem Rand sah ich Sterne funkeln.
    Die Wunde begann wieder zu schmerzen. Ich raffte mich auf und setzte den Weg mit zunehmender Hast fort. Ich wollte zum nächsten Hügel, der am See lag. Der Mond rückte höher. Verwirrt sah ich auf den Nebel hin: Aus ihm hoben sich dunkle Flecken. Es war ein Sumpf, der unter dem Nebel lag, nicht ein See. Nun wusste ich nicht mehr, wohin, und ging ziellos weiter. Die Schmerzen im Arm nahmen zu. Mir war heiß,

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