Ich zog mit Hannibal
tun?«
»Sein Krieg ist nicht mein Krieg«, sagte Silenos, »aber solange dieser Krieg dauert, ist mein Platz an seiner Seite.«
Ich sah ihn verständnislos an.
»Wenn einer, dann wirst du mich verstehen, du als Einziger von allen, die mit ihm ziehen«, sagte Silenos. »Sie alle sind Söldner – nur du und ich nicht. Sie alle ließen sich von ihm kaufen, sie alle haben seinen Krieg zu ihrem Krieg gemacht und haben aufgegeben, was sie waren, und sind so geworden, wie er sie haben will – sogar Maharbal. Sie lassen ihn für sich denken und tun, was er von ihnen verlangt. Ich könnte nicht tun, was Maharbal tat, aber ich kämpfe ja auch nicht für Karthago. Womit sollte ich kämpfen – ich habe nicht einmal einen Dolch. Und gäbe Hannibal mir je den Befehl, einen Menschen zu töten, ich würde es nicht tun.«
»Es würde dich das Leben kosten«, sagte ich.
»Das ist möglich«, sagte Silenos. »Aber solange er mich meinen Weg gehen lässt, werde ich bei ihm bleiben. Ich muss dahinter kommen, wie er wirklich ist. Das kann nur einer, der ihn immer im Auge behält. Du kennst ihn besser als die meisten – aber hast du gestern gewusst, dass er einen Menschen mit einem Blick umbringen kann? Zufällig warst du heute dabei, als er es tat, und ich war dabei. Ich bin mehr um ihn als jeder andere. Mir anvertraut er mehr als seinen Brüdern und er weiß nicht, dass er dabei in meinem Dienst ist. Das ist mein Abenteuer: von seinem Gesicht mein Buch abzulesen. Das hält mich bei ihm. Mit seinem Volk habe ich nichts zu tun. Mir graut vor Karthagos Göttern und jedes Volk ist so, wie seine Götter sind. Ich war in Karthago; ich habe erlebt, wie Karthager sind. Sie schlagen nicht nur Feldherrn, die eine Schlacht verloren, ans Kreuz – auch Löwen! Ja, ich habe am Rande der Wüste Kreuze gesehen, an die Löwen geschlagen waren: Nur weil diese Löwen sich in ihre Herden verirrt hatten. Ich liebe Löwen – wie kann ich Karthago lieben? Aber bei Hannibal werde ich ausharren. In ihm fasse ich den Krieg an der Wurzel. Wenn er mich zu sich rufen lässt, redet er – unaufhörlich. Noch niemals wollte er einen Rat von mir. Er fühlt sich hoch über allen und verachtet selbst seinen Nächsten. Du hast es erlebt, wie er mit Maharbal verfuhr. Er ist einer, der am Altar des Moloch schwor. Die Späteren müssen erfahren, wie es in so einem aussieht – vielleicht werden sie dann, wenn bei ihnen einer auftritt wie dieser, nicht hinterherrennen, bis sie der Abgrund verschlingt.«
Ich ließ ihn nicht aus den Augen. »Du glaubst nicht an Hannibals Sieg?«
Statt einer Antwort sagte Silenos, ohne seine Stimme zu dämpfen: »Er hat Gift bei sich in einem Fläschchen aus blauem Glas.«
Da gestand ich ihm, dass ich es wusste, und ich erzählte ihm nun auch den Traum, den mir Hannibal nach dem Ritt über die Pyrenäen anvertraut hatte. »Das zweite Geheimnis, das er mit mir teilt.«
»Für dich hat er viel übrig, du kleiner Karthager«, sagte Silenos ohne Spott. – Und nun hat er nicht einmal bemerkt, dass ich ging, grübelte ich. Er verlor mich ganz einfach aus den Augen. Mit Schrecken fiel mir ein, dass unter seiner linken Stirnhälfte ein schwarzer Schlitz klaffte.
Da gestand Silenos etwas, das mich aufhorchen ließ. »Ich hänge an ihm«, sagte er in das gespannte Schweigen. »Ich weiß, dass ich nie mehr von ihm loskommen werde«, fuhr er fort, als ich ihn verwirrt ansah. »Er ist mein Schicksal.«
»Mich hat er um Vater und Mutter und Bruder und Sagunt gebracht«, erwiderte ich. »Er hat mir Karthalo und Suru genommen. Weil es ihn gibt, habe ich niemanden mehr.«
»Sie alle kann er dir nicht nehmen, wenn du dich nicht von ihnen trennst«, versicherte mir Silenos.
»Aber es sind doch alle tot, die ich hatte«, sagte ich erbittert, »bis auf dich und du gehst mit ihm. Suru hat er mit eigenen Händen getötet.«
»Suru kannst du am wenigsten verlieren«, fuhr Silenos unbeirrt fort. »Er wird dir immer nachgehen, auch wenn er jetzt auf dem Hügel liegt, auf dem erzusammenbrach. Suru ist dein Schicksal, wie Hannibal mein Schicksal ist.«
Ich wollte mich aufrichten. Silenos ermahnte mich, ruhig liegen zu bleiben. Er sah meinen Verband an, der durchblutet war. Da ging er daran, ihn mir abzunehmen. Es tat weh. Er legte ein großes Pflaster mit einer Heilsalbe über die ganze Wunde und verband sie mit großer Sorgfalt. »Sie wird rasch heilen«, versprach er. »Es ist nicht halb so schlimm, wie es erst aussah.
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