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Identität (German Edition)

Identität (German Edition)

Titel: Identität (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Chaon
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jetzt.»

19
    JAY KOZELEK stand am Bordstein vor dem Denver International, als ein schwarzer Lexus langsam vorfuhr und vor ihm hielt. Die getönte Scheibe des Fahrerfensters glitt mit einem leisen pneumatischen Zischen hinunter, und ein schmaler, gepflegter Typ sah zu ihm auf. Yuppiehaft: War das das richtige Wort?
    «Mr.   Kozelek, wie ich annehme», sagte der Mann, und Jay stand nur da und blinzelte.
    Jay wusste nicht, was er erwartet hatte, aber mit Sicherheit nicht das – diese geschniegelte Gestalt mit Designer-Hornbrille und schickem Sportjackett und Rollkragenpulli und Filmstargebiss. Und auf der anderen Seite er, mit seinem alten Trekking-Rucksack und Secondhandparka, untenrum eine Jogginghose, die Haare hinten von einem Gummiband zusammengehalten. Seit längerem nicht mehr gewaschen.
    «Äh», sagte er, und der Typ grinste selbstzufrieden, als sei ihm ein guter Scherz gelungen. Was, wie Jay vermutete, wohl der Fall war – und so probierte er es mit einem verlegenen Lächeln, obwohl er eigentlich eine gewisse Nervosität verspürte. «Hi, Mike», sagte er, sehr relaxed. «Wo geht’s hin? Raus zu deiner Jacht?»
    Mike Hayden sah ihn an. Keine Reaktion.
    «Steig ein», sagte Mike, und es ertönte ein Klick, als die Fondtür entriegelt wurde. Jay zögerte nur eine Sekunde, bevor er einstieg und seinen abgerissenen Rucksack hinter sich hineinzog.
    War das am Ende eine Falle?
    Es war ein brandneues Auto, mit diesem lieblichen künstlichen Ledergeruch und makellos. Während Jay seine Knie unterbrachte, drehte sich Mike Hayden herum und reichte ihm die Hand. «Sehr angenehm», sagte er.
    «Ebenfalls», sagte Jay und schlug in Mike Haydens Hand ein, die kühl und trocken war. Es sah nicht danach aus, als ob er noch aufgefordert werden würde, sich nach vorn zu setzen: Der Beifahrersitz war vollgehäuft mit Papieren, einer zerknüllten Fastfood-Tüte und etlichen Handys, fünf an der Zahl, die im Müll lagen wie Eier in einem Nest.
    Ihre Augen begegneten sich, und auch wenn er nicht wusste, was Mike Haydens langer Blick im Einzelnen zu bedeuten hatte, äußerte sich darin eine gewisse Erwartung. Jay lehnte sich zurück, als sei er verwarnt worden.
    «Es ist wunderbar, dich endlich persönlich kennenzulernen, Jay», sagte Mike Hayden. «Es freut mich sehr, dass du gekommen bist.»
    «Ja», sagte Jay, und dann machte er es sich bequem, während der Wagen butterweich vom Bordstein losfuhr und beschleunigte, sich zwischen den anderen Fahrzeugen durchschlängelte, die sich zur Flughafenausfahrt schoben, und die Auffahrt zur Interstate nahm, während sich die Regenwolken über ihnen im riesigen Himmel türmten.
     
    Kennengelernt hatten sich Jay und Mike Hayden in einem Internet-Chatroom, einem dieser versteckten, schwer zugänglichen Räume, in denen Hacker und Trolle sich zu treffen pflegen. Sie waren sich auf Anhieb sympathisch gewesen.
    Das war damals gewesen, als Jay zusammen mit einer Bande von Computerfreaks, die sich für Revolutionäre hielten, in einem Haus in Atlanta wohnte. Die «Association» nannten sie sich, was, wie Jay ihnen klarzumachen versucht hatte, der Name einer grausigen Band aus den Sechzigern war. «Kennt ihr nicht diese dämlichen Stücke wie Windy und Cherish ?» Und er hatte ihnen ein, zwei Zeilen vorgesungen, aber sie hatten ihn bloß skeptisch angeguckt.
    Und so wurde ihm allmählich klar, dass er ein bisschen zu alt war, um mit ihnen zusammenzuwohnen. Sie hatten ein paar gute Ideen, wie man Geld machen könnte, aber letztlich waren sie nur Kids und ziemlich oft recht kindisch, saßen am liebsten herum und schauten sich schlechte Horrorfilme an oder diskutierten über irgendwelchen Popkulturscheiß, TV, Comics, verschiedene Websites und Internet-Phänomene, die sie gerade kurzzeitig «geil» fanden. Sie waren zu stoned und zu träge, um irgendetwas halbwegs konsequent durchzuziehen, aber für Jay sah die Sache anders aus. Er war dreißig! Er hatte ein richtiges Kind da draußen, auch wenn das Kind nicht wusste, dass er sein Dad war. Einen Sohn, fünfzehn Jahre alt, Ryan. Er sagte sich, dass es langsam an der Zeit war, ein bisschen mehr auf ernst zu machen.
    «Ich weiß, was du meinst», hatte Mike Hayden ihm im Chatroom geantwortet. «Ich bin auch nicht dafür, hirnlos herumzuspielen.»
    Damals wusste Jay noch nicht, dass der Typ Mike Hayden hieß. Er lief unter dem Username «Breez», und er war in bestimmten Kreisen der Internet-Community sehr bekannt. Sämtliche Hacker in Jays Haus

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