Identität (German Edition)
abstoßenden nasebohrenden Mitbewohner? Stünde die Welt nicht besser da ohne die Sorte Menschen, die Investmentbanker werden? Kannst du dir überhaupt eine niedrigere Lebensform vorstellen? Diese Leute sind angeblich so intelligent und talentiert. Sie gehen nach Princeton oder Harvard, oder Yale, und dann werden sie ‹Investmentbanker›? Kannst du dir eine widerwärtigere Vergeudung vorstellen?»
Und Jay sagte nichts. Machte der Typ Witze? War er reif für die Klapse?
Trotzdem, er war von den Dingen, die Dylan ihm erzählt hatte, schon beeindruckt. «Dieser Typ ist der Zerstörer», hatte Dylan gesagt. «Der hat wahrscheinlich Millionen geklaut –» Und Jay spürte, wie diese Gedanken allmählich wegkippten und langsame Riesenräder in seinem Kopf in Gang setzten. Er war ganz schön zugedröhnt.
Und eigentlich fragte sich Jay doch, ob ein Typ wie der nicht Dinge wusste, von denen er keine Ahnung hatte. Passte er schlicht mehr auf, während der Rest der Menschheit größtenteils einfach vor sich hin lebte, ohne die Dinge bis zu ihrer logischen Schlussfolgerung zu Ende zu denken?
Der Lebensstil des Untergangs .
«Ich weiß nicht so recht, was ich sagen soll», erwiderte Jay endlich. «Es gibt eine Menge Dinge, über die ich auch nicht besonders gründlich nachgedacht habe, wenn ich ehrlich sein soll.» Pause. «Es klingt so, als hättest du erheblich mehr drauf als ich», sagte Jay.
Das war ein Arschkriecher-Zug, keine Frage, aber er war neugierig. Was hatte dieser Typ außer großen Sprüchen zu bieten?
«Warum rufst du mich nicht auf meinem Handy an?», tippte Breez. «Ich leide unter fürchterlicher Schlaflosigkeit. Albträume. Von Zeit zu Zeit höre ich ganz gern den Klang einer menschlichen Stimme.»
Und so waren sie Freunde geworden.
So hatte er erfahren, dass der berühmte «Breez» in Wirklichkeit ein gewisser Mike Hayden war, ein gewöhnlicher Mensch, der am Stadtrand von Cleveland aufgewachsen war und – was immer er geleistet hatte, wie reich und berüchtigt er auch sein mochte – sich einsam fühlte. Er sagte, er sei auf der Suche nach jemandem, dem er vertrauen könne. «Was in unserer Branche nicht so leicht zu finden ist», sagte er.
«Keine Frage», sagte Jay, und er schmunzelte freudlos. Er und seine Hausgenossen wohnten in einem Bungalow in Westview, einem Viertel im Südwesten von Atlanta, und er musste zugeben, dass er mit dem Gedanken spielte weiterzuziehen. Bislang hatten sie sich hauptsächlich mit Amateurscheiß abgegeben, sagte er – stundenlang im Auto auf dem Parkplatz von irgendeinem Supermarkt, Baumarkt oder Elektromarkt sitzen, Löcher im WLAN des jeweiligen Ladens suchen und Kreditkarten- und Bankcardnummern absammeln, wenn sie in die Lesegeräte eingegeben wurden. Es schien nichts dabei rauszukommen.
«Das ist eigentlich keine schlechte Idee», sagte Mike Hayden. «Ich kenne einen Typ in Lettland, auf dessen Computer du die Daten speichern könntest – und der kennt einen Typ in China, der Kartenrohlinge mit den Nummern bedrucken kann. Das wird durchaus gemacht. Du kannst damit ganz ordentlich absahnen, wenn du clever und aggressiv vorgehst.»
«Ja, tja», sagte Jay. «‹Clever› und ‹aggressiv› sind in diesem Haus Fremdwörter. Ich glaub nicht, dass auch nur einer dieser Kids weiß, was er eigentlich tut.»
Und Mike Hayden wurde nachdenklich. «Hmm», sagte er.
«Genau», sagte Jay.
«Also, was hast du jetzt vor?», fragte Mike Hayden. «Willst du für immer da hocken bleiben?»
«Ich weiß nicht», sagte Jay.
«Wenn ich Zugriff auf diese ganzen Nummern hätte, die ihr gesammelt habt», sagte Mike, «könnte ich was Ernsthaftes damit anfangen. Das will ich nur damit sagen. Wir könnten zusammenarbeiten.»
«Hmm», sagte Jay. Im Haus war es dunkel, aber durch eine der offenen Türen konnte Jay Dylan sehen, sein Gesicht vom Computerbildschirm erhellt, seine Finger auf der Tastatur klappernd, und er senkte die Stimme und hielt die hohle Hand über das Mikrophon seines Handys.
«Ich muss dir die Wahrheit sagen», sagte Jay. «Ich bin in einer anderen Situation als diese Jungs. Ich muss anfangen, mir über die Zukunft Gedanken zu machen, wenn du weißt, was ich meine. Ich bin dreißig. Ich hab ein Kind irgendwo da draußen – fünfzehn Jahre alt, kannst du dir das vorstellen? Offen gesagt, bin ich aus dem Alter jugendlicher Tagträume raus.»
Bei dieser Offenbarung hatte Mike Hayden erst mal gestutzt.
«Ja sag mal, Jay», sagte er endlich, «ich hatte
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