Identität (German Edition)
dass das ein Fehler gewesen war. Sie war wie Zaina gewesen – zu stolz, zu sehr mit ihrer Würde befasst.
«Ich bin sehr froh, dass wieder Touristen nach Abidjan kommen», erklärte Stephanie, während sie weiterarbeitete. «Nach dem Krieg, nachdem alle Franzosen geflohen waren, sagten die anderen Staaten: ‹Fahrt nicht nach Côte d’Ivoire, das ist zu gefährlich›, und das hat mich traurig gemacht. Früher war Abidjan als das Paris Westafrikas bekannt. Wussten Sie das? Dieses Hotel, wenn Sie es bloß vor fünfzehn Jahren hätten sehen können, als ich in dieses Land kam! Es gab ein Kasino. Eine Eisbahn, die einzige in Westafrika! Das Hotel war ein Juwel, und dann fing es an zu verfallen. Haben Sie gesehen, dass das ganze Gebäude früher von einem Teich umgeben war? Aber jetzt ist kein Wasser mehr drin. Eine Zeitlang kam ich zur Arbeit, und es kamen so wenige Gäste, dass ich mir vorstellte, ich wäre in einem alten, unbewohnten Schloss in irgendeinem kalten Land. Aber allmählich wird es wieder besser», sagte Stephanie, und ihre Stimme war mild und hoffnungsvoll. «Seit dem Friedensabkommen werden wir langsam wieder zu dem, was wir waren, und das macht mich glücklich. Eine junge Frau wie Sie in diesem Hotel zu treffen, das ist ein gutes Zeichen. Ich werde Ihnen ein Geheimnis verraten. Ich liebe die Frisierkunst. Und es ist wirklich eine Kunst, glaube ich. Wenn Ihnen gefällt, was ich aus Ihrem Haar mache, dann sollten Sie Ihren Freundinnen sagen: ‹Fahrt nach Abidjan, geht ins Hotel Ivoire, besucht Stephanie!›»
Als sie später versuchte, George Orson von der Sache mit Stephanie zu erzählen, fiel es ihr schwer, die richtigen Worte zu finden.
«Du siehst bemerkenswert aus», sagte George Orson. «Das ist eine phantastische Frisur», sagte er, und das war sie wirklich. Die Farbe sah überraschend natürlich aus, es war nicht das fluoreszierende Wasserstoffblond, das sie befürchtet hatte; das Haar war schulterlang, stumpf geschnitten, mit einer ganz leichten Außenwelle.
Aber das war längst nicht alles, obwohl sie nicht recht wusste, wie sie es hätte ausdrücken können: dieses träumerische Gefühl von Verwandeltsein; die intensive schwesterliche Intimität, mit der Stephanie über sie gebeugt gestanden und heiter gesprochen, ihre Geschichten erzählt hatte. So ein Gefühl musste es sein, hypnotisiert zu werden, dachte sie. Oder vielleicht, getauft zu werden.
Natürlich hätte sie das George Orson nicht sagen können. Es hätte zu überladen, zu extrem geklungen. Also zuckte sie lediglich die Achseln und zeigte ihm die Sachen, die sie sich in der Hotelboutique gekauft hatte.
Ein schlichtes schwarzes Kleid mit dünnen Trägern. Eine dunkelblaue Seidenbluse, tiefer ausgeschnitten, als sie es eigentlich gewohnt war, eine weiße Hose und ein buntes Kopftuch mit afrikanischem Muster.
«Ich hab einen Haufen Geld ausgegeben», sagte sie, aber George Orson reagierte lediglich mit einem Lächeln – diesem intimen, verschwörerischen Lächeln, mit dem er sie auf ihrer Fahrt aus Nebraska immer wieder bedacht und das sie schon so lange nicht mehr gesehen hatte.
«Solange es nicht mehr als drei bis vier Millionen sind», sagte er, und es war eine solche Erleichterung, ihn wieder witzeln zu hören, dass sie lachte, obwohl es gar nicht so witzig war, und sie warf sich verführerisch in Pose, während er sie vor dem Hintergrund der grauweißen Wand für den neuen Pass fotografierte.
Er meinte, ihnen binnen vierundzwanzig Stunden neue Pässe besorgen zu können.
Er trank neuerdings mehr, und das gefiel ihr nicht. Höchstwahrscheinlich hatte er schon die ganze Zeit getrunken, als er sich im alten Haus über dem Lighthouse Motel in seinem «Herrenzimmer» eingeschlossen hatte, um dann mitten in der Nacht schwerfällig neben sie unter die Decke zu schlüpfen, umgeben von einer Geruchswolke aus Mundwasser, Seife und Eau de Cologne.
Aber jetzt war es etwas anderes. Jetzt, wo sie sich ein Zimmer teilten, bekam sie es mehr mit. Sie beobachtete ihn, wie er am schmalen Hotelzimmerschreibtisch saß und auf den Bildschirm seines Laptops starrte, tippte und surfte, tippte und surfte und zwischendurch große Schlucke aus seinem Glas nahm. Die Flasche irischen Whiskey, die er sich vom Zimmerservice hatte bringen lassen, war nach lediglich zwei Tagen schon so gut wie leer.
Währenddessen lag sie im Bett und sah sich französisch synchronisierte amerikanische Spielfilme an oder las Marjorie Morningstar , die die
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