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Identität (German Edition)

Identität (German Edition)

Titel: Identität (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Chaon
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Entfernung der eingeklebten Geldscheine besser überstanden hatte als Bleakhaus .
    Es hatte einen Moment gegeben, als er sie mit ihrer neuen Frisur und den neuen Sachen gesehen hatte, wo sie kurz wieder zu dem Paar geworden waren, für das sie sie gehalten hatte, aber es hielt nur ein paar Stunden vor. Jetzt war er wieder distanziert.
    «George?», sagte sie. Und als er keine Antwort gab: «Dad …?»
    Da zuckte er zusammen.
    Betrunken.
    «Armer Ryan», sagte er kryptisch, und er führte sein Glas kopfschüttelnd an die Lippen. «Dies Mal werd ich’s nicht verbocken, Lucy», sagte er. «Vertrau mir. Ich weiß, was ich tue.»
     
    Vertraute sie ihm?
    Glaubte sie jetzt noch, nach alldem, dass er wusste, was er tat?
    Das waren nach wie vor schwer zu beantwortende Fragen, auch wenn es die Sache erleichterte zu wissen, dass sie einen Rucksack mit sich herumtrug, der fast hundertfünfzigtausend Dollar enthielt.
    Es erleichterte die Sache, dass sie nicht mehr in Nebraska waren, dass sie nicht mehr praktisch wie eine Gefangene im Lighthouse Motel festsaß. Als er am nächsten Morgen aufbrach, um mal wieder was zu erledigen, konnte sie tun, was sie wollte, sie konnte mit dem Lift hinunter in die Hotellobby fahren und nach Belieben spazieren gehen. Sie hatte den Rucksack dabei und schlenderte in ihren neuen Sachen durch die Gänge und Geschäfte und versuchte nachzudenken. Versuchte, sich in die Zukunft zu projizieren, nur ein paar Tage weiter. Rom. 4,3 Millionen Dollar. Ein neuer Name, ein neues Leben, vielleicht sogar das Leben, das sie sich ausgemalt hatte.
    Das Hotel war ein riesiger Komplex, aber überraschend ruhig. Sie hatte erwartet, die Lobby voller Menschen vorzufinden, so wie die Terminals der Flughäfen von Denver und New York und Brüssel, wo ganze Heerscharen durch die Hallen und Gänge gehastet waren, aber hier kam sie sich eher wie in einem Museum vor.
    Wie im Traum ging sie durch einen langen Wandelgang. An der Wand war eine stilisierte langgesichtige afrikanische Maske – eine Gazelle, vermutete sie – mit Hörnern, die sich seitlich herunterbogen, wie Frauenhaar. Sie sah zwei afrikanische Frauen in Batikgewändern, leuchtend orange und grün, friedvoll dahinschlendern; und einen Hotelangestellten, der, milde wie ein guter Hirte, ein Häuflein Müll auf seine langstielige Kehrschaufel fegte; und dann trat sie ins Freie, auf eine offene Promenade mit tropischen Pflanzen auf einer Seite und anmutigen, botanisch anmutenden abstrakten Plastiken und einem mit bunten Formen und Figuren bedeckten Obelisken, der fast wie ein Totempfahl aussah; und dann öffnete sich die Promenade zu einem kleinen Platz, und es kam eine Betonbrücke, die über türkisfarbene Teiche zu einer kleinen grünen Insel führte, von der aus man über die Lagune hinweg auf die Skyline von Abidjan blicken konnte.
    Traumhaft. Sie stand auf einem von hohen Glaskugellaternen gesäumten Weg, unter einem wolkenlosen Himmel, und das war wahrscheinlich das Irrste, was sie jemals erlebt hatte.
    Wer hätte, daheim in Ohio, jemals gedacht, dass Lucy Lattimore eines Tages auf einem anderen Kontinent stehen würde, im Garten eines so wunderschönen Hotels? In Afrika. Mit einer eleganten Frisur und teuren Schuhen und einem leichten plissierten weißen Kleid, dessen Rocksaum sich sanft in der Brise bewegte.
    Wenn ihre Mutter sie nur hätte sehen können. Oder dieser widerliche, ständig feixende Toddzilla.
    Wenn nur jemand vorbeigekommen wäre und sie fotografiert hätte.
    Endlich drehte sie sich um und ging wieder durch den Garten zurück, zurück zum Zentrum des Hotels. Sie fand ihre Boutique wieder und kaufte sich ein weiteres Kleid – smaragdgrün diesmal, gebatikt wie die Gewänder der Frauen, die sie in der Wandelhalle gesehen hatte –, zog dann mit ihrer Einkaufstüte wieder los und fand ein Restaurant.
    Le Pavillon war ein langer schlichter Raum, der sich am Ende zu einem Patio öffnete. Die Mittagessenszeit war, wie sie annahm, schon vorbei, aber es saßen noch immer ein paar Gäste herum, und als der Oberkellner sie an ihren Platz führte, hoben drei weiße Männer in geblümten Hawaiihemden, an deren Tisch sie vorbeikam, die Köpfe.
    «Schönes Mädchen», sagte einer von ihnen, ein Glatzkopf, und wölbte die Brauen. «Hey, Mädchen», sagte er. «Du mir gefällst. Ich will sein dein Freund.» Und dann sagte er irgendwas auf Russisch oder so zu seinen Genossen, und sie lachten alle.
    Sie ignorierte sie. Sie würde sich von ihnen nicht den

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