Identität (German Edition)
», erklärte George Orson ihnen, und er verweilte bei dem Wort «Lügen», als kostete er dessen Geschmack aus. Er musste aus New York sein, dachte sie, oder Chicago oder sonst was in der Richtung, und er würde nicht lange bleiben. Trotzdem passte sie besser auf, als sie es eigentlich von sich gewohnt war.
Und dann hörte sie in der Freistunde, wie ein paar Jungs sich über George Orsons Auto unterhielten. Es war ein Maserati Spyder, ein winziges silberfarbenes Kabrio, in das nur zwei Leute hineinpassten, fast wie ein Spielzeug, und es war ihr selbst aufgefallen.
«Habt ihr euch den angeschaut?», hörte sie einen Jungen sagen – Todd Zilka, den Lucy widerlich fand. Er war in der Footballmannschaft, ein großer athletischer Typ, nichtsdestotrotz Sohn eines Anwalts und auf der Schule immerhin so gut, dass er in die National Honor Society aufgenommen worden war, woraufhin Lucy aufgehört hatte, die Versammlungen zu besuchen. Wäre sie mutiger gewesen, hätte sie den Leuten ihren Mitgliedsausweis vor die Füße geschmissen. In der Mittelstufe war es Todd Zilka gewesen, der angefangen hatte, sie «Lausy» zu nennen, was im Prinzip nicht so wild gewesen wäre, wenn sie und ihre Schwester sich nicht tatsächlich Kopfläuse eingefangen hätten, Pedikulose, und in Schimpf und Schande von der Schule verbannt worden wären, bis der Befall vollständig beseitigt gewesen wäre. Selbst noch Jahre später nannten die Leute sie «Lausy» – gut möglich, dass der Spitzname das Einzige war, woran sie sich beim Zwanzigjahrestreffen in ihrem Zusammenhang erinnern würden.
«Toddzilla» war Lucys privater Spitzname für Todd Zilka gewesen, allerdings besaß sie nicht den nötigen Einfluss, um dafür zu sorgen, dass er sich allgemein durchsetzte. Die Tatsache, dass eine Kreatur wie Toddzilla es in der Schule zu Erfolg und Beliebtheit bringen konnte, war schon für sich genommen ein guter Grund, um Pompey, Ohio, für immer hinter sich zu lassen.
Dennoch hörte sie unauffällig zu, als er in der Freistunde seine dämlichen Ansichten vor seinen idiotischen Freunden ausbreitete. «Ich meine», sagte er, «ich wüsste gern, wo so ein mickriger Highschool-Lehrer das Geld für einen solchen Schlitten hernimmt. Ist ja ausländisch, aus Italien importiert, nicht? Der kostet wahrscheinlich siebzig Riesen!»
Und das gab ihr denn doch zu denken. Siebzigtausend Dollar waren eine gewaltige Menge Geld. Sie dachte wieder an George Orson, wie er im Klassenzimmer vor ihnen stand und in seinem taillierten schwarzen Hemd ausführte, dass Woodrow Wilson ein erklärter Rassist, ein White Supremacist, gewesen sei, und Anaïs Nin zitierte:
« Wir sehen die Dinge nicht so, wie sie sind, sondern so, wie wir sind. Denn was sieht, ist nicht das Auge , sondern das Ego , das dahinter steht. »
Und dann, nicht lange danach, hob Toddzilla eines Nachmittags die Hand, und George Orson machte eine Geste in seine Richtung. Hoffnungsvoll, als könnten sie gleich eine Diskussion über die Verfassung führen.
«Ja …? Äh – Todd?», sagte George Orson, und Toddzilla grinste mit seinen sämtlichen kieferorthopädisch gerichteten Zähnen.
«Also, Mr. O», sagte er. Er war einer dieser halbwüchsigen Sportcracks, die es cool fanden, Lehrer und andere Erwachsene nach Sportlermanier mit abgedroschenen Spitznamen anzureden. «Also, Mr. O», sagte Toddzilla. «Wo haben Sie Ihr Auto her? Das ist ja ein Wahnsinnsschlitten.»
«Oh», sagte George Orson. «Danke.»
«Was ist das für ’ne Marke? Ist es ein Maserati?»
«Ja.» George Orson sah den Rest der Klasse an, und Lucy meinte, dass sie und George Orson sich für den Bruchteil einer Sekunde direkt in die Augen blickten, dass sie in geistiger Verbindung standen, wortlos darüber einig, dass Toddzilla ein Neandertaler war. Dann richtete George Orson seine Aufmerksamkeit wieder auf seinen Schreibtisch, auf das Lehrbuch oder was auch immer.
«Also, warum sind Sie Highschool-Lehrer geworden, wenn Sie sich ein solches Auto leisten können?», sagte Toddzilla.
«Tja, ich denke mal, weil ich es einfach befriedigend finde, auf der Highschool zu unterrichten», sagte George Orson. Ohne eine Miene zu verziehen. Er sah Lucy wieder an, und seine Mundwinkel hoben sich, gerade so weit, dass sein Grübchen zum Vorschein kam. Da leuchtete eine Wachheit in ihm auf, ein Funken heimlicher Belustigung, den vielleicht nur sie zu erkennen vermochte. Lucy lächelte. Er war witzig, dachte sie. Interessant .
Todd hingegen
Weitere Kostenlose Bücher