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Identität (German Edition)

Identität (German Edition)

Titel: Identität (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Chaon
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das Foto für dessen Führerschein machen ließ, scheitelte er sich das Haar in der Mitte und setzte sich eine Sonnenbrille auf. Jay zeigte ihm, wie leicht es war, bestimmte weitere Elemente zu erschaffen: eine falsche Adresse, eine Wohnung in Wauwatosa, einem Vorort von Milwaukee; einen Beruf, selbständiger Privatdetektiv mit Tätigkeitsschwerpunkt Identitätsdiebstahl und Internetbetrug; eine Steuernummer; eine Website für seine inexistente Detektei; und manchmal schickten sogar Leute E-Mails an Kasimirs Website.
     
    Sehr geehrter Mr.   Czernewski,
ich habe Ihre Website gefunden und brauche Ihre Hilfe wegen eines möglichen Falls von Identitätsdiebstahl. Ich glaube, dass jemand meinen Namen mit betrügerischer Absicht verwendet. Ich habe Rechnungen für Dinge bekommen, die ich nie gekauft habe, und auf mehreren meiner Sparkonten fehlt Geld. Es handelt sich um Abhebungen, die ich nie getätigt habe –
     
    Jay für sein Teil besaß mittlerweile vielleicht mehrere hundert «Avatare», die er selbst entwickelt hatte – praktisch genug, um ein ganzes Dorf mit gefakten Personen zu bevölkern, die diskret allerlei Geschäfte von gefakten Adressen aus betrieben: in Fresno und Omaha; Lubbock, Texas; und Cape May, New Jersey. Sie waren über die ganze Landkarte verstreut, so geschichtet, sagte Jay, und so miteinander vernetzt, dass selbst wenn eine Identität als falsch entlarvt werden sollte, sie lediglich zu einer weiteren Fälschung führen würde, einem weiteren Klon, einer Serie von Labyrinthen, die allesamt in Sackgassen endeten.
    Wer hätte sich vorstellen können, dass diese Aberdutzende von Existenzen aus einer Hütte in den Wäldern nördlich von Saginaw, Michigan, emanierten?
     
    Inzwischen schneite es stärker, und Ryan konnte von Glück sagen, zur Hütte zurückgekehrt zu sein, bevor der Sturm richtig losging. Das Haus lag ziemlich ab vom Schuss – vom Highway runter, dann durch ein Gewirr von zweispurigen Landstraßen und eine enge Asphaltstraße entlang, nur ein Durcheinander von Bäumen und Schatten, bis schließlich die Hütte mit Jays altem klapprigem Econoline in der Auffahrt auftauchte.
    Die Hütte war unscheinbar. Ein schlichter eingeschossiger Zweizimmerbau mit einer auf Blockhaus machenden Verkleidung aus halbierten Rundhölzern und einer Veranda, auf der eine alte Couch und ein Holzofen standen; sie sah aus wie eines dieser Häuschen, in denen Angler in den Siebzigern das Wochenende verbrachten, und es roch darin nach feuchtem Zedernholz und schimmeligen Decken – ein Geruch, den Ryan mit fast vergessenen Pfadfinderheimen assoziierte.
    Jenseits der Veranda war eine größere Fläche gerodet, und die Schneeflocken wirbelten leichtsinnig, neugierig entlang kleiner Windpfade, die zuletzt in Verwehungen endeten. Als er losgefahren war, hatte es in Milwaukee nicht geschneit, aber vielleicht tat es das inzwischen. Vielleicht schneite es auch in Chicago, in Evanston, wo seine Eltern bald zu seinem Gedenkgottesdienst eintreffen würden, eine träge weiße Decke, die sich auf die Bahnen des Flughafens O’Hare legte, während ihr Flugzeug am Himmel Schleifen zog.
    Jay war auf der Veranda, in der Hitze des Ofens, eingedöst, und zwischen seinen Fingern steckte noch immer eine Zigarette. Als Ryan sich hinunterbeugte und sie ihm behutsam abnahm, brach ein Zylinder von kalter Asche ab und fiel auf den Boden. «Hmm», sagte Jay und drückte die Wange an seine eigene Schulter, als sei sie ein Kissen, in das er sich schmiegte.
    Ryan stand wieder auf und ging ins Wohnzimmer. Dort schwebte noch immer eine Zirrusschicht von Rauch über den zusammengestellten Tischen, auf denen Dutzende von Computern und Scannern und Fax- und anderen elektronischen Geräten standen. Er nahm von der Couch eine Mohairdecke, ging zurück und breitete sie über Jay aus.
    Er war selbst leicht betrunken, leicht stoned und fischte ein weiteres Bier aus der Kühlbox. Auch wenn er sich bemühte, nicht zu nervös zu werden, war ihm aber zunehmend klar, dass alles, was sich ereignet hatte, wirklich von Dauer war.
    Er setzte sich an einen der Computer, stellte seine Bierdose neben die Tastatur, ging ins Internet und tippte seinen Namen ein, um zu sehen, ob sonst noch jemand in seinem Blog oder wo auch immer über seinen Tod geschrieben hatte.
    Aber es gab nichts Neues.
    Bald, dachte er, würde sein Name immer weniger Hits abwerfen. Die Nachrufe würden binnen weniger Tage zu einem bloßen Rinnsal verebben, und nicht mehr lange, und jede

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