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Identität (German Edition)

Identität (German Edition)

Titel: Identität (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Chaon
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Ecuador. Tonga. Guck, was es an Last-Minute-Angeboten gibt.»
    «Jay …», sagte Ryan, aber er setzte sich gehorsam an den Computer.
    «Mach dir keinen Kopf», sagte Jay. «Wir kriegen das schon auf die Reihe. Wir müssen hier zwar den Laden dichtmachen, aber ich glaube, wir kriegen das alles tipptopp auf die Reihe.»

18
    LUCY UND GEORGE Orson saßen im alten Pick-up, unterwegs zu einem Postamt in Crawford, Nebraska. Laut George Orson war es der ideale Ort, um ihre Passanträge einzureichen, während Lucy nicht recht einsah, warum das Kaff besser sein sollte als irgendein anderes, warum sie drei Stunden weit fahren mussten, wo es doch bestimmt jede Menge andere miese kleine Postämter gegeben hätte, die näher lagen. Aber sie verfolgte den Gedanken nicht weiter. Momentan hatte sie genug anderes im Kopf.
    Die Erleichterung, die ihr die Entdeckung der Geldbündel verschafft hatte, war mittlerweile schon halb abgeklungen, und jetzt spürte sie wieder ein Flattern im Magen. Sie musste an die Achterbahn im Cedar-Point-Park in Ohio denken. Millennium Force hieß das Ding, mit einer Schussfahrt, die hundert Meter in die Tiefe ging. Wie man da wartete, sobald man festgeschnallt war, das schwere Klacken der Kette, während man langsam die steile Steigung hinauf zum Scheitelpunkt des Hügels geschleppt wurde. Diese grauenvolle ängstliche Anspannung.
    Aber sie bemühte sich, ruhig zu wirken. Sie saß brav auf dem Beifahrersitz des alten Pick-ups, während George Orson je nachdem rauf- oder runterschaltete, und ertrug stumm das abscheuliche rosa Shirt mit dem Gestöber von smileygesichtigen Schmetterlingen auf Brust und Bauch, das George Orson ihr gekauft hatte. Seine Vorstellung davon, was ein fünfzehnjähriges Mädchen so trug –
    «Du siehst darin jünger aus», hatte er gesagt. «Darum geht’s dabei.»
    «Ich sehe darin zurückgeblieben aus», sagte sie. «Vielleicht sollte ich so tun, als wäre ich geistig behindert?» Und sie streckte die Zunge raus und produzierte ein kehliges höhlenmädchenmäßiges Knurren. «Ich kann mir keine Fünfzehnjährige vorstellen, die ein solches T-Shirt trägt, es sei denn, die netten Onkels in Weiß hätten es ihr verordnet.»
    «Ach, Lucy», sagte George Orson. «Du siehst prima aus. Du siehst wie das aus, was du darstellen sollst, und nur das zählt. Sobald wir außer Landes sind, kannst du anziehen, was du willst.»
    Und Lucy hatte keine weiteren Widerworte gegeben. Sie hatte nur trübselig in den Schlafzimmerspiegel gestarrt, auf diese wildfremde Person, die ihr vom ersten Augenblick an widerlich gewesen war.
    Am schlimmsten war ihr Haar. Ihr war nicht bewusst gewesen, dass sie so sehr an ihrer Naturhaarfarbe hing – ein ins Rötliche spielende Kastanienbraun –, bis sie gesehen hatte, wie es nach dem Färben aussah.
    George Orson hatte darauf bestanden – ihr Haar, sagte er, solle in etwa die gleiche Farbe wie seines haben, schließlich mussten sie als Vater und Tochter durchgehen –, und so war er von seiner Shoppingtour nicht nur mit dem grauenerregenden Schmetterlingsshirt, sondern auch mit einer Tüte voll Haartönungen zurückgekommen.
    «Ich habe sechs verschiedene gekauft», sagte er, stellte die Einkaufstüte auf den Küchentisch und holte eine Hochglanzschachtel mit einem Haarmodel darauf heraus. «Ich konnte mich nicht entscheiden, welche die richtige war.»
    Die Farbe, die sie schließlich ausgewählt hatten, hieß Umbrabraun, und Lucy fand, sie sehe so aus, als habe ihr jemand die Haare mit Schuhcreme angestrichen.
    «Du musst dir nur ein paarmal die Haare waschen», sagte George Orson. «Die Farbe sieht schon jetzt prima aus, aber wenn du sie erst ein paar Tage lang getragen hast, wird sie völlig natürlich aussehen.»
    «Meine Kopfhaut brennt», sagte Lucy. «In ein paar Tagen habe ich wahrscheinlich eine Glatze.»
    Und George Orson hatte ihr einen Arm um die Schultern gelegt. «Sei nicht albern», murmelte er. «Du siehst umwerfend aus.»
    «Hmm», hatte sie gesagt und sich im Spiegel betrachtet.
    Umwerfend sah sie nicht aus, so viel war mal sicher. Aber vielleicht sah sie wie ein fünfzehnjähriges Mädchen aus.
    Brooke Catherine Fremden . Ein langweiliges Mädchen ohne Freunde, wahrscheinlich krankhaft schüchtern. Wahrscheinlich ein bisschen wie ihre Schwester, Patricia.
     
    Patricia hatte früher häufig Panikattacken gehabt. Daran musste Lucy denken, während sie im Pick-up saß, auf dem Weg nach Crawford, und ihr das Herz so komisch in der Brust

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