Idol
ihn mir nicht nennen, schien allerdings sehr erschrocken
und zitterte sogar. Sie empfahl mir, die Nase nicht |298| aus dem Fenster zu stecken, was ich indes nach ihrem Weggang sofort tat. Der Mond schien hell, ich sah aber nur viele Reiter
am anderen Ufer des Tiber entlanggaloppieren. Der Lärm kam offenbar eher vom Vatikan herüber, und unsere Fenster gingen auf
den Fluß.
Es war so laut, daß an Schlaf nicht zu denken war, und die Signora wollte sich nicht einmal ausziehen. Woran sie gut tat,
wie sich später herausstellen sollte. Seit Beginn ihrer Einkerkerung war sie vor allem deshalb unglücklich, weil die alte
Nonne ihr die Bücher – die mitzunehmen Della Pace ihr erlaubt hatte, als er uns verhaften kam – sofort weggenommen hatte.
Die Signora schrieb auf lateinisch ein Rückgabegesuch an den Heiligen Vater, das jedoch nicht beantwortet wurde. Als ich mich
darüber wunderte, sagte sie lächelnd: »Wer weiß, vielleicht kann der Heilige Vater kein Latein.«
Sie sprach wenig und nahm nie den Namen des Fürsten in den Mund, der für sie nicht mehr zu existieren schien. Aber sie erwähnte
wiederholt mit liebevollen Worten Signor Peretti, den sie nun, nach seinem Tod, viel mehr als zu seinen Lebzeiten zu schätzen
schien.
Da sie ständig ihre Bücher zurückforderte, liehen ihr die Nonnen schließlich das Neue Testament. Sie las es mit so viel Eifer,
daß sie es nach wenigen Tagen beinahe auswendig kannte und ganze Passagen daraus aufsagte. Allerdings machte sie über die
Evangelien mitunter auch Bemerkungen, die mich in Erstaunen setzten. So schaut sie eines Tages von ihrer Lektüre auf und sagt:
»Ich weiß gar nicht, warum der heilige Matthäus sich soviel Mühe gemacht hat, die lange Ahnenreihe des Joseph aufzuzählen.
Wozu soll das gut sein, wenn doch Joseph nicht Jesu Vater war? Der heilige Matthäus hätte die Ahnenreihe von Maria aufstellen
sollen.«
»Er hat es nicht getan, Signora, weil Maria nur eine Frau war«, erwidere ich.
»Vermutlich hast du recht«, meint sie und sieht mich ob meiner Antwort erstaunt an.
Plötzlich fängt sie an zu lachen.
»Caterina, du redest wie eine Ketzerin! Wie kannst du sagen, Maria sei nur eine Frau gewesen, wo sie doch die Gottesmutter
ist.«
Ich blicke sie an. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. |299| Erst lobt sie mich, dann lacht sie mich aus! Über wen mokiert sie sich? Über mich oder über den heiligen Matthäus? Sie ist
die Ketzerin! Oder sie rächt sich am heiligen Matthäus, weil sie sich darüber ärgert, daß die Nonnen ihr die Bücher weggenommen
haben. Aber klagen – nein, das tut sie nicht. Wirklich, ich bewundere ihren Mut. Ich selbst bin nicht so stark. Tagsüber nehme
ich mich zusammen, um ihr keinen Kummer zu bereiten. Abends im Bett aber weine ich mich so richtig aus. Ich denke an meine
Familie in Grottammare und an das, was der Pfarrer von der Kanzel herab über mich sagen mag. Ich denke auch an meine Liebhaber
und lasse sie in Gedanken Revue passieren. Das tut mir zunächst gut. Aber hinterher fühle ich mich um so elender und verlassener
auf meinem Strohsack. Ja, ich schlafe auf einem Strohsack – welche Schande! Die Signora hat wenigstens ein Bett.
Als uns der nette Della Pace ins Gefängnis begleitete, fand er eine Möglichkeit, seinen Schnurrbart meinem Ohr zu nähern und
mir zuzuflüstern: »Schlaft ruhig. Man wird Euch keinen Prozeß machen. Man hat nichts gegen Euch.« Das habe ich der Signora
wiederholt, doch sie blieb besorgt und sagte mit einem Achselzucken:
»Ja, aber es wird Jahre dauern. Wenigstens bis zum Tode des Papstes. Und der erfreut sich eiserner Gesundheit.«
In der folgenden Nacht habe ich auf meinem Strohsack inbrünstig gebetet, der Herr möge den Heiligen Vater so schnell wie möglich
zu sich nehmen. Danach hatte ich Gewissensbisse, denn ich weiß nicht, ob es gut katholisch ist, für den Tod des Papstes zu
beten.
Ich mußte auch an Della Pace denken und wie angenehm ich das Kitzeln seines Schnurrbarts an meinem Ohr empfunden hatte. Wenn
wenigstens er mich in der Engelsburg aufsuchen könnte, um mich zu verhören, allein in einem kleinen Zimmer! Doch auch dieser
Hoffnungsschimmer wurde zunichte gemacht, als ich von dem Nönnchen erfuhr, der Kommandant der Burg sei nicht er, sondern ein
Gouverneur.
An Marcello, diesen Taugenichts, verbiete ich mir jeden Gedanken. Ich wünsche ihm viel Spaß mit seiner Alten in Amalfi!
Anfangs machte ich mir große
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