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Idol

Idol

Titel: Idol Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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denn die roten Samtvorhänge an den Fenstern sind zugezogen, und sie zu lüpfen, wage ich nicht,
     so sehr beeindruckt mich der Offizier mit seiner schwarzen Maske.
    Zu meiner großen Überraschung rollt die Karosse nur kurze Zeit, dann wird sie langsamer, fährt im Schritt, wendet und hält
     schließlich an. Als der Offizier abspringt und uns den Schlag öffnet, kann ich undeutlich – der Mond ist gerade von dichten
     Wolken verhangen – einen großen Hof voller Menschen wahrnehmen. Der Offizier geht uns bis zum zweiten Stock voran, wo er uns
     in einen mit prächtigen Wandbehängen und Teppichen geschmückten kleinen Salon eintreten läßt. Dann nimmt er die Maske ab.
     Sein Gesicht ist mir gänzlich unbekannt; aus dem Augenwinkel bemerke ich, daß auch die Signora ihn nicht kennt, so daß ich
     mich frage, warum er so geheimnisvoll getan hat. Auf jeden Fall ist er für einen Kerkermeister überaus höflich, denn er verneigt
     sich vor der Signora fast bis zur Erde und sagt mit größtem Respekt:
    »Der kleine Salon und die beiden anschließenden Zimmer stehen zu Eurer Verfügung, Signora. Ich hoffe, Ihr werdet Euch wohl
     fühlen. Mir wurde befohlen, alles für Eure Bequemlichkeit ins Werk zu setzen.«
    Die Signora ist über diese Aufmerksamkeit, das goldene Gefängnis und die prächtige Karosse, die uns hergebracht hat, sichtlich
     überrascht. Als sich der Offizier rückwärtsgehend zurückzieht – sein Hut fegt fast den Boden –, fragt sie lebhaft:
    »Signore, ich bin hier noch nie gewesen. Könnt Ihr uns sagen, wo wir uns befinden?«
    »In Montegiordano, Signora«, antwortet er und zieht erstaunt die Brauen hoch.
    Da die Signora nichts erwidert, macht er eine weitere tiefe Verbeugung und geht.
    »Mein Gott!« ruft die Signora und faßt sich mit beiden Händen an den Hals.
    Sie ist so bleich, daß ich eine Ohnmacht befürchte und zu ihr hinstürze, um sie aufzufangen; aber sie befreit sich energisch
     aus meinen Armen und beginnt, mit großen Schritten hin und her zu laufen, beide Fäuste in wahnsinnigem Zorn an die Wange gepreßt.
     Ich gehe ihr aus dem Weg, halte den Mund und mache mich in einer Ecke des Zimmers ganz klein. Ich kenne sie zu gut, um zu
     glauben, ich könnte sie mit Worten besänftigen. |303| Eher noch ließe sich mit der Stimme der Donner oder mit den Händen der Blitz aufhalten.
    Die Signora ist inzwischen nicht mehr bleich, sondern rot im Gesicht. Von Zeit zu Zeit nimmt sie die Hände von den Wangen
     und greift sich an die Kehle, als müsse sie vor Wut ersticken. Gut zehn Minuten läuft sie so hin und her, und alles, was sie
     zu sagen vermag, ist: »Welche Schande! Welche Infamie!« Seltsam, sogar mit diesem verzerrten Gesicht und den zusammengezogenen
     Brauen ist sie noch schön.
    Endlich setzt sie sich, vermutlich durch die Erregung erschöpft, aber sie sitzt kerzengerade, die Lippen und die Kiefer krampfhaft
     zusammengepreßt, die Arme vor der Brust verschränkt. Ich bleibe still in meinem Eckchen, denn ich verstehe sehr wohl, was
     in ihr vorgeht, und bin beunruhigt darüber, wie sie die Sache aufnimmt.
    Jemand klopft an die Tür, und da die Signora nicht reagiert, wird noch ein zweites Mal geklopft. Sie gibt mir ein Zeichen
     aufzumachen.
    Es ist Fürst Orsini. Ich trete zur Seite, um ihn vorbeizulassen, und er stürmt mit großen Schritten in den Salon, der durch
     seine Anwesenheit plötzlich viel kleiner wirkt. Wahrhaftig, er ist ein sehr schöner Mann: groß, breitschultrig, mit dem Kopf
     einer römischen Statue. Aber vor allem gefällt mir seine entschiedene, strahlende Siegermiene. Dieser Ausdruck erlischt leider
     mit einem Schlag, als er das finstere Gesicht der Signora sieht. Er bleibt stehen, mustert sie ungläubig und scheint keines
     Wortes mächtig.
    »Könnt Ihr mir erklären, Signore, wieso und warum ich in Euerm Hause bin?« fragt sie in schneidendem Ton.
    Der Fürst erbleicht, als habe die Signora ihn geschlagen. Als er endlich spricht, ist seine Stimme wie erstickt, wird allmählich
     aber wieder fester.
    »Signora, auf diesen Empfang, den ich nicht zu verdienen glaube, war ich nicht gefaßt. Ich habe Berge versetzt, Euch aus der
     Engelsburg zu befreien! Ich habe mich gegen meinen Herrn erhoben, eine Revolte angezettelt und mein Herzogtum, meinen Besitz
     und mein Leben für Euch aufs Spiel gesetzt! Und leider auch das Leben anderer! Vieler anderer! In dieser Nacht sind Ströme
     von Blut für Euch vergossen worden. Und Ihr verlangt eine

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