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Idol

Idol

Titel: Idol Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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Lohn? Eine Kugel in den Kopf!
    |292| Ich schäme mich nicht, zu sagen, daß ich Raimondo beweint habe. Vor allem, wo ich jetzt nur noch einen Herrn habe, den Grafen
     Lodovico, über den ich nichts sagen will. Weder Gutes noch Schlechtes. Ich habe nicht über ihn zu urteilen. Wie es heißt,
     ist er der Madonna ganz besonders ergeben und betet Tag und Nacht zu ihr. Nach meiner Meinung würde ihn die Madonna aber nicht
     sonderlich mögen, wenn sie ihn genauso gut kennen würde wie ich.
    Vielleicht bin ich nicht richtig verstanden worden. Deshalb will ich noch mal auf die Arkebusen und die gezündeten Lunten
     zurückkommen.
    Ich meine so: angenommen, die Lunten wären nicht gezündet gewesen, dann hätten die Sbirren auch nicht geschossen. Warum? Der
     Bargello hätte das Anzünden befehlen müssen. Ja, gut, sie haben auch ohne Befehl geschossen. Aber zum Schießen braucht’s eine
     Sekunde. Eine Lunte zünden dagegen – das dauert lange. Man muß den Feuerstahl hervorkramen, Feuer schlagen, den Zunder anbrennen,
     ihn durch Draufpusten entflammen, ihn an die Lunte anlegen, weiter blasen – eine richtige Plackerei. Und der Bargello hätte
     in aller Ruhe fragen können: »Was macht ihr da? Ich habe keinen Befehl gegeben!« Andererseits, wenn er nichts gesagt hätte,
     wir aber das Treiben der Sbirren gesehen hätten, wäre uns Zeit geblieben, mit dem Degen über sie herzufallen und mit der flachen
     Klinge kräftige Hiebe zu verteilen, ohne sie zu töten. Man erinnert sich: sie waren zwanzig Mann, wir aber dreißig.
    Da sieht man’s mal wieder: kleine Ursache, die gezündeten Lunten – große Wirkung, Blut und Feuer in der ganzen Stadt. Alle
     Edlen zu Pferd, und das Volk auf der Straße. Das ganze Volk: die Guten und die Schlechten, was bei solcher Gelegenheit keinen
     großen Unterschied macht, denn ehrliche Handwerker plünderten und mordeten genauso wie die Strolche. Die Sbirren, die wir
     zu fassen kriegten, bis auf den letzten Mann massakriert! Die Dienerschaft der Verwandten des Papstes – ebenfalls massakriert.
     Und diesen Verwandten selbst hätte das gleiche geblüht, wären sie nicht in den Vatikan geflohen. Auf alle Fälle wurden ihre
     Paläste geplündert, und die Leute waren nicht arm! Der Vatikan umzingelt, belagert, und die Menschen rannten durcheinander
     und schrien »Abdanken! Abdanken!«, »Tod dem Bargello!« und sogar »Tod dem Papst!«. Ja, das |293| wurde wirklich gerufen: »Tod dem Papst!«, und alles gute Katholiken, Gott möge ihnen vergeben!
    Die Edlen etwas abseits, zu Pferde, die Soldaten und ihre Schutzbefohlenen zu Fuß, alle mit Arkebusen, manche davon mit Radschloß
     (aber meiner Meinung nach ist diese Neuerung nicht sehr zuverlässig), die anderen mit Lunte, und die war absichtlich gezündet!
    Im Hintergrund, in einiger Entfernung von der Menge, aber an der Spitze vom Gros der Adligen, Fürst Paolo auf seiner weißen
     Stute, zu seiner Rechten dicht neben ihm der Marchese Giulio Savelli, der Vater des armen Silla, und zu seiner Linken Graf
     Lodovico. Auf ihrer Seite herrschte Schweigen. Und Unruhe. Denn beim Anblick des tobenden Pöbels begannen sie, für ihre eigenen
     Paläste zu fürchten. Was mich am meisten verblüfft: sie unternehmen nichts. Absolut nichts! Und als ich mich erkühne, Graf
     Lodovico zu fragen, worauf man denn warte, sagt er überheblich: »Daß uns der Mond in die Geldkatze fällt!«
    Der Mond scheint wirklich, es ist fast so hell wie am Tag. Man könnte ein Buch lesen (natürlich nur jemand, der lesen kann).
     Der Beweis: Fürst Paolo schaut von Zeit zu Zeit auf seine Taschenuhr und sagt laut die Stunde an. Und noch ein Beweis: sein
     Reitknecht bringt im Trab ein Billett, das der Fürst erbricht und liest. Er strahlt. Was in dem Billett stand, haben wir erst
     später erfahren.
    »Schluß jetzt!« sagt Fürst Paolo plötzlich.
    Er befiehlt, eine Musketensalve auf die Fenster des Vatikans abzugeben. Da aber niemand so unvorsichtig gewesen ist, sich
     ans Fenster zu stellen, passiert nichts Schlimmes, nur die Scheiben zersplittern. Eine kleine Neckerei, weiter nichts. Aber
     den Leuten gefällt das, sie klatschen wie im Theater.
    Fürst Paolo guckt wieder auf die Uhr und läßt drei Kanonen vorrücken. In Wirklichkeit hat er nur diese drei, und die sind
     nicht gerade riesig. Und die Kanoniere davor schützen sich durch Flechtwerk und Sandsäcke vor Flintenbeschuß. Währenddessen
     zersprengt die Reiterei das Volk und drängt es nach rechts und links

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