Idol
das Paradies.
Ich sehe sie, ich höre sie, ich diene ihr. Und sie, diese wunderbare Frau, vergißt ihren Rang und ihre Schönheit und redet
mit mir wie mit einer Freundin, wo ich doch nichts weiter bin als ein kleiner Regenwurm zu ihren Füßen!
Als ich Mamma, und nur ihr allein, bei meinem letzten Besuch in Grottammare anvertraut habe, daß Seine Eminenz Kardinal Montalto
durch Vermittlung meines Beichtvaters Auskünfte über Vittoria angefordert hat, fuhr sie mich an, nannte mich undankbar und
schlecht und hat mich geschlagen. Die arme unwissende Frau, möge Gott ihr vergeben! Um ihretwillen und des Vaters wegen hab
ich es getan! Das baufällige kleine Haus am Meer, in dem sie wohnen, hat ihnen der Pfarrer von Grottammare billig vermietet.
Und kann man sich vorstellen, daß sich ein Pfarrer dem mächtigen Kardinal widersetzt, dem er seine Pfarrstelle verdankt? Doch
wozu überhaupt der ganze Lärm: Vittoria ist so vernünftig und so brav. Was könnte ich anderes denn Gutes über sie sagen?
Nicht, daß Vittoria die Männer nicht mag. Sie liebt sie genauso wie ich. Aber im Gegensatz zu mir ist sie zu stolz, um ihre
Tugend zu vergessen. Vor ihrer Hochzeit mit Signor Peretti war ich die einzige, die wußte, wer von den ständigen Gästen des
Palazzo Rusticucci ihr gefiel und wer nicht. Aber sie verhielt sich zu allen in gleichem Maße distanziert und würdig, ohne
jemand auch nur im geringsten zu bevorzugen. Wie gerne hätte ich ihre Selbstbeherrschung! Doch ich kann den Gegenstand meiner
Anbetung nicht sehen, ohne zu erröten, zu erbleichen und zu zittern. Ich bin ein Vulkan, der überall seine Lava ausspuckt,
Vittoria dagegen scheint in sich zu ruhen wie ein erloschener Vulkan. Aber man darf sich auch nicht täuschen: es brodelt im
Inneren des Kraters.
Ich hüte mich wohl, derartige Eindrücke in meinen Berichten an Seine Eminenz zu erwähnen. Ich nenne nur Fakten, und an denen
gibt es nichts auszusetzen. Die Gedanken mag Vittorias Beichtvater erraten und entwirren! Der Mann, der im Herzen einer Frau
zu lesen versteht, muß sehr gewitzt sein, wo doch nicht einmal sie selbst es immer kann!
Vor sechs Jahren hat Vittoria notgedrungen Francesco Peretti geheiratet, der, ich weiß es, mitnichten der Mann ihrer |52| Träume ist. Nicht, daß sie wie Tarquinia von einem Fürsten oder Herzog geschwärmt hätte. Nein! Sie hätte sich einen Helden
gewünscht. Sie hat zu viele Rittergeschichten im Kopf!
Signor Peretti ist zu feinfühlig und zu rücksichtsvoll, als daß diese Ehe schlecht wäre. Doch wer wollte behaupten, es sei
eine gute Ehe? Vittoria träumt immer noch weiter und macht sich nicht klar, daß einer Ehefrau nicht mehr geziemt, was einem
jungen Mädchen noch erlaubt war. Was nun Signor Peretti anbelangt: was kann ein Mann wohl empfinden, wenn er nur selten im
Schlafzimmer seiner Frau geduldet ist und ihr nach sechs Jahren Ehe noch kein Kind gemacht hat. Aber vielleicht ist das nicht
einmal seine Schuld, wer weiß?
Für mein Empfinden ist Signor Peretti zu wenig selbstsicher und versteht es nicht, seine guten Eigenschaften zur Geltung zu
bringen. An einem Novemberabend, als er mit seiner Mutter Camilla und mir vom Vespergottesdienst heimkehrte, wurde er in einer
engen Gasse von drei Banditen angefallen, die ihn ausrauben wollten. Er zog sogleich seinen Degen und stellte sich ihnen entgegen,
verwundete zwei von ihnen und schlug sie in die Flucht, wobei er selbst am Oberarm verletzt wurde. Was aber tat er bei seiner
Rückkehr in den Palazzo Rusticucci? Er ließ mich auf mein Medaillon mit der Heiligen Jungfrau schwören, Vittoria von diesem
Vorfall kein Sterbenswörtchen zu verraten, denn, so sagte er, er wolle sie nicht beunruhigen. Dabei wäre das die Gelegenheit
gewesen, vor der auf Helden versessenen Vittoria endlich mal zu glänzen! Der arme Signor Peretti! Er ist so ungeschickt, daß
er mir leid tut. Ich will nichts Schlechtes über die Frauen sagen, denn ich bin selbst eine Frau. Aber man darf das Zartgefühl
ihnen gegenüber nicht übertreiben. Und schon gar nicht sich ihnen zu Füßen werfen, um eine Nacht mit ihnen zu erbetteln!
Signor Peretti ist wie seine Mutter Camilla: gütig und zärtlich. Als ich erfuhr, daß Camilla bei uns im Palazzo Rusticucci
wohnen wird, wußte ich schon beim Anblick ihres feinen, sanften Gesichts, welche von den beiden Alten auf der anderen herumhacken
würde. Dabei ist
la Superba
nicht etwa gemein zu Camilla,
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