Idoru-Trilogie - Gibson, W: Idoru-Trilogie - Virtual Light/Idoru/All Tomorrow´s Parties
einem Ende zwei stumpfe Chromzähne und an einer Kante einen roten, geriffelten Knopf. Sie war überrascht, wie wenig es wog. Sie dachte an die Apparate, die die Jungs an ihrer Schule aus diesen Einwegkameras gemacht hatten.
»Und es findet mich immer, dieses Licht«, sagte Maryalice. »Immer. Ganz egal, was ich trinke, was ich sonst noch nehme. Es findet mich und weckt mich auf. Es ist wie Pulver, es weht unter der Tür durch. Man kann nichts dagegen machen. Geht einem in die Augen. Und dieses helle Licht, das von oben runterkommt …« Eddie war schon halb durch die Tür, der Russe hinter ihm ganz im Badezimmer drin, und das gefiel Chia nicht, weil sie die Hände des Russen nicht sehen konnte. Sie hörte, wie das dezente Vogelgezwitscher losging, als das Badezimmer den Russen wahrnahm. »Und du hast mich da hingebracht, Eddie. In dieses Shinjuku. Du hast mich da hingebracht, wo dieses Licht an mich
rangekommen ist, und ich konnte nicht weg.« Und dann zog Maryalice den Abzug durch.
Eddie schrie, ein merkwürdiger, schriller Laut, der von den schwarz-weißen Fliesen widerhallte. Er musste das Klicken des Feuerzeugs übertönt haben, das nicht einmal eine Flamme hervorgebracht hatte.
Maryalice geriet nicht in Panik.
Sie zielte weiter auf ihn und zog den Abzug in aller Ruhe ein zweites Mal durch.
Diesmal kam eine Flamme, aber Eddie wischte das Feuerzeug mit einem Wutgeheul beiseite, packte Maryalice am Hals und fing an, sie mit der Faust ins Gesicht zu schlagen. Das Geheul wurde zu einem »Miststück! Miststück! Miststück! «, synchron mit jedem Schlag.
Und da kam Chia von dort hoch, wo sie so lange gesessen hatte, ohne wirklich darüber nachzudenken, dass ihr die Beine eingeschlafen waren und den Dienst versagten, wie sie merkte, so dass sie ihren Sprung erst in eine und dann in eine zweite Rolle verwandeln musste, ehe sie die Chromspitzen der Betäubungspistole an Eddies Knöchel halten und auf den roten Knopf drücken konnte.
Sie war sich nicht sicher, ob sie an einem Knöchel oder durch seine Socke hindurch funktionieren würde. Aber das tat sie. Vielleicht, weil Eddie sehr dünne Socken trug.
Aber sie erwischte auch Maryalice, so dass sie gemeinsam zusammenzuzucken schienen und einander in die Arme sanken.
Und der dunkle Fleck, der in diesem Moment an Chia vorbeiflog, war Masahiko, der die Tür vor dem Russen zuzog, den Türknauf mit beiden Händen packte und hochsprang, einen Fuß im Papierpantoffel gegen die Wand, den anderen gegen die Tür stemmte und dort hängen blieb. »Lauf«, sagte er und spannte Arme und Beine an. Dann
rutschten seine Hände von dem runden Chromknauf ab, und er landete auf dem Hintern.
Chia sah, wie der Knauf sich zu drehen begann.
Sie setzte die Zähne der Betäubungspistole an den Türknauf und drückte auf den Knopf. Und ließ nicht mehr los.
37 ARBEITSEINSATZ
Laney saß wieder vorn auf dem Beifahrersitz des Van, hatte den Datenhelm auf dem Schoß und wartete darauf, dass Arleigh Kuwayamas graues Modul anschloss. Er schaute durch die Windschutzscheibe auf die Betonwand. Die Seite tat ihm jetzt nicht mehr so weh, aber nach der Zusammenkunft mit Kuwayama und der Idoru und dem Gespräch unter vier Augen mit Yamasaki im Van war seine Verwirrung größer denn je. Wenn Rez und Rei Toei ihre Entscheidungen gemeinsam trafen und Yamasaki beschlossen hatte, sich auf ihre Seite zu schlagen, was hieß das dann für ihn? Er glaubte kaum, dass Blackwell eines Tages mit der Erkenntnis aufwachen würde, was für eine wunderbare Idee die Verbindung von Rez und Rei war. Soweit es Blackwell betraf, versuchte Rez nach wie vor nur, einen Software-Agenten zu heiraten – was immer das letztlich bedeuten mochte.
Aber Laney wusste jetzt, dass die Idoru komplexer und mächtiger war als jede synthetische Hollywood-Schauspielerin. Erst recht, wenn Kuwayama die Wahrheit sagte und die Videos ihre »Träume« waren. Laneys Wissen über künstliche Intelligenz stammte von seiner Arbeit an einer Slitscan-Episode, die das unglückliche Privatleben eines führenden Forschers auf diesem Gebiet dokumentiert hatte, aber er wusste, dass es offenbar noch nie gelungen war, echte KI zu erschaffen, und dass aktuelle Versuche angeblich in ganz andere Richtungen gingen, als Software zu kreieren, die gut darin war, schöne junge Frauen zu spielen.
Falls es irgendwann echte KI geben sollte, so die These, dann würde sie sich höchstwahrscheinlich auf eine Weise
entwickeln, die zuallerletzt etwas mit der
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