Idoru-Trilogie - Gibson, W: Idoru-Trilogie - Virtual Light/Idoru/All Tomorrow´s Parties
freihalten und freundlich und einfühlsam sind?«
»Und Witz erzählen.«
Durius kniff die Augen zusammen. »Weißt du, was für Leute um vier Uhr früh vor ’nem Gemischtwarenladen auf dem Sunset rumhängen? Kids auf Dancer, die voll von der Rolle sind und Monsterfilme halluzinieren. Nun rate mal, wer dann wohl das Monster ist? Und dann sind da noch die reiferen Soziopathen; älter, komplizierter, polypharm …«
»Was ’n das?«
»Die mixen ihr Zeug«, sagte Durius. »Werden lateral.«
» Lateral?«
»Rasten aus.«
»Muss sein, sagt der Chef.«
Durius sah Rydell an. »Du zuerst.« Er kam aus Compton, der einzige Mensch, den Rydell kannte, der tatsächlich in Los Angeles geboren war.
»Du bist größer.«
»Größe ist nicht alles.«
»Hast Recht«, hatte Rydell gesagt.
Den ganzen Sommer über hatten Rydell und Durius den Nachtdienst im Lucky Dragon gemacht, einem speziell gebauten Modul, das per Hubschrauber auf dieses Grundstück am Sunset – eine ehemalige Autovermietung – gesetzt worden war. Vorher hatte Rydell als Nachtwächter im Chateau gearbeitet, ein kleines Stück die Straße rauf, und
davor hatte er bei IntenSecure einen Streifenwagen gefahren. Und noch früher – er versuchte, nicht allzu oft daran zu denken – war er kurz mal Polizist in Knoxville, Tennessee, gewesen. In dieser Zeit wäre es ihm zweimal beinahe gelungen, in Cops in Schwierigkeiten zu kommen, eine Serie, mit der er aufgewachsen war, die er jetzt jedoch nie mehr sah.
Die Nachtschicht im Lucky Dragon war interessanter, als Rydell gedacht hätte. Durius zufolge lag das daran, dass es im Umkreis von ein, zwei Kilometern der einzige Laden war, in dem es Dinge gab, die man tatsächlich brauchte, sei es regelmäßig oder sonst wie. Mikrowellennudeln, Diagnostik-Kits für die meisten sexuell übertragbaren Krankheiten, Zahnpasta, alles mögliche Wegwerfzeug, Netzzugang, Kaugummi, Mineralwasser … Überall in Amerika, ja sogar überall auf der Welt gab es Lucky Dragons, und zum Beweis dafür stand das Wahrzeichen von Lucky Dragon draußen, die Global Interactive Video-Säule. An der musste man vorbei, wenn man den Laden betrat oder verließ, und dann sah man das jeweilige Dutzend Lucky Dragons, mit dem der Laden auf dem Sunset gerade verbunden war, in Paris, Houston oder Brazzaville, wo auch immer. Die Verbindungen wechselten alle drei Minuten, und zwar aus einem ganz praktischen Grund: Man war zu der Überzeugung gelangt, dass Jugendliche in den langweiligeren Vorstädten der Welt bei längerer maximaler Übertragungsdauer versuchen würden, Wetten zu gewinnen, indem sie es vor der Kamera miteinander trieben. Auch so bekam man schon eine ganze Menge nackte Hintern und Titten zu sehen. Und noch öfter Gestalten wie diesen zugedröhnten Burschen im Zentrum von Prag, der den weltweit verbreiteten Stinkefinger reckte, als Rydell gerade zum Gehweg-Check hinausging.
»Du mich auch«, sagte Rydell zu diesem unbekannten Tschechen und zog die neon-pinkfarbene Lucky-Dragon-Hüfttasche hoch, die er laut Vertrag im Dienst tragen
musste. Er hatte aber nichts dagegen, obwohl sie beschissen aussah: Sie war kugelsicher und enthielt ein hochziehbares Babylätzchen aus Kevlar, das man sich um den Hals binden konnte, falls es mal härter zuging. In seiner zweiten Dienstwoche hatte ein lateraler Kunde versucht, Rydell mit einem Keramikmesser durch das Lucky-Dragon-Logo hindurch zu erstechen, und danach hatte Rydell eine Art Bund mit dem Ding geschlossen.
Das Schnappmesser lag jetzt oben in seinem Zimmer über Mrs Siekevitzs Garage. Sie hatten es unter der Erdnussbutter gefunden, nachdem das LAPD den Lateralen abgeführt hatte. Die schwarze Klinge sah aus wie sandgestrahltes Glas. Rydell mochte es nicht; wegen der Keramikklinge lag es ganz merkwürdig in der Hand, und es war so scharf, dass er sich schon zweimal dran geschnitten hatte. Er wusste nicht so recht, was er damit machen sollte.
Der heutige Gehweg-Check schien ein Kinderspiel zu sein. Draußen stand eine Japanerin mit wahrhaft erstaunlich langen Beinen und noch erstaunlicheren kurzen Shorts. Das hieß, sie sah irgendwie japanisch aus. Rydell fiel es schwer, in L. A. solche Unterscheidungen zu treffen. Durius meinte, hybrider Schöpferdrang sei momentan total angesagt, und Rydell vermutete, dass er Recht hatte. Das Mädchen mit den Endlosbeinen war fast so groß wie er, und er glaubte nicht, dass Japaner normalerweise so groß wurden. Aber vielleicht war sie ja hier aufgewachsen,
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