Idoru-Trilogie - Gibson, W: Idoru-Trilogie - Virtual Light/Idoru/All Tomorrow´s Parties
Geliebten.
Aber das Syndrom war anders. Es war von ihm getrennt und hatte mit nichts und niemandem zu tun, dem auch nur sein Interesse galt. Als er spürte, wie es losging, hatte er wie selbstverständlich angenommen, dass es sich auf sie beziehen würde, auf Rei Toei, denn er war ihr nah, so nah, wie man jemandem sein konnte, der physisch nicht existierte. Sie hatten fast jeden Tag miteinander geredet, Laney und die Idoru.
Und anfangs, überlegt er jetzt, hatte es sich vielleicht wirklich auf sie bezogen, aber dann war es, als würde er etwas durch die Datenströme zurückverfolgen, ohne darüber nachzudenken, so wie die Finger an einem Kleidungsstück einen Faden finden und anfangen, daran zu zupfen, das Gewebe aufzudröseln.
Dabei war zum Vorschein gekommen, wie seiner Ansicht nach die Welt funktionierte. Und dahinter hatte er Harwood entdeckt, der berühmt war, für seinen Ruhm berühmt. Harwood, dem die Präsidentin ihre Wahl zu verdanken hatte, wie es hieß. Harwood, das PR-Genie, der Harwood Levine, die mächtigste PR-Firma der Welt, geerbt und in ganz neue Höhen, ganz neue Einflusssphären geführt hatte. Dem es jedoch irgendwie gelungen war, dem Mechanismus des Ruhms nicht zum Opfer zu fallen. Harwood, der vielleicht, nur vielleicht hinter allem steckte, es aber irgendwie schaffte, sich nie dabei erwischen zu lassen. Der es irgendwie fertigbrachte, berühmt zu sein, ohne wichtig zu erscheinen, berühmt, ohne für etwas von zentraler Bedeutung zu sein. Er hatte eigentlich nie viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen, außer bei seiner Trennung von Maria Paz, und selbst da war der padanische Star die Topmeldung jeder Sequenz gewesen, während Cody Harwood nur von diversen Sidebars und eingebetteten Hypertextrauten grinste: Die Schönheit und dieser sanft dreinschauende, verschlossene, betont uncharismatische Milliardär.
»Hallo«, sagt Laney, als seine Finger auf den Griff einer mechanischen Taschenlampe aus Nepal stoßen, eines primitiven Dings, dessen winziger Generator von einem Mechanismus wie einer gefederten Zange angetrieben wird. Er pumpt, bis sie zum Leben erwacht, und hebt sie hoch; der leicht fluktuierende Strahl findet die Kartondecke. Sie ist dicht an dicht mit Dutzenden kleiner rechteckiger, von einem Automaten am westlichen Eingang des Bahnhofs individuell
gefertigter Aufkleber gepflastert: Lauter verschiedene Fotos des zurückgezogen lebenden Harwood.
Er kann sich nicht erinnern, dass er zu dem Gerät gegangen ist, eine simple Bildersuche nach Harwood durchgeführt und für den Ausdruck der Bilder bezahlt hat, aber es muss wohl so gewesen sein. Er weiß nämlich, dass sie von dort stammen. Ebenso wenig erinnert er sich daran, die Klebefolie abgezogen und sie an die Decke gepappt zu haben. Aber jemand hat es getan. »Ich seh dich«, sagt Laney und entspannt die Hand, so dass der matte Lichtstrahl braun wird und schließlich erlischt.
4 FORMELLE ABWESENHEITEN WERTVOLLER DINGE
Auf der Market Street hat der namenlose Mann, der in Laneys nodaler Konfiguration herumspukt, gerade ein Mädchen gesehen.
Vor drei Jahrzehnten ertrunken, tritt sie frisch wie der junge Tag aus den Bronzetüren eines Maklerbüros. Und ihm wird im selben Moment bewusst, dass sie tot ist und er nicht, dass es ein anderes Jahrhundert ist und dies ganz eindeutig ein anderes Mädchen, eine taufrische Fremde, mit der er nie sprechen wird.
Und als er nun durch den feinen chromatischen Dunst der hereinbrechenden Nacht an diesem Mädchen vorbeigeht, neigt er den Kopf ein winziges Stück zu Ehren jener anderen, die damals von ihm gegangen ist.
Und seufzt in seinem langen Mantel und dem Gurtwerk, das er darunter trägt: Saugt Luft ein und gibt sie wieder frei, ein resignierter Atemzug im dichten Gewühl der Händler, die von ihren diversen Arbeitsstätten herabkommen, die weiter auf die herbstliche Straße heraustreten, auf dem Weg zu einem Drink, einem Abendessen oder dem Zuhause, dem Schlaf, die auf sie warten.
Doch nun ist diejenige, mit der er nicht sprechen wird, ebenfalls fort, und ihn übermannt eine Emotion, kein Verlustgefühl im eigentlichen Sinn, sondern ein sehr ausgeprägtes Bewusstsein seines langen Daseins auf der Welt und in ihren Städten, vor allem in dieser.
Unter seinem rechten Arm hängt, zuverlässig versteckt, ein Messer, das mit dem Kopf nach unten schläft wie ein Vampir; es ist rasiermesserscharf geschliffen, so scharf
wie die Messer von Chirurgen, sofern diese mit Stahl schneiden.
Es ist mit drei
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