Idoru-Trilogie - Gibson, W: Idoru-Trilogie - Virtual Light/Idoru/All Tomorrow´s Parties
wie schon ihre Eltern vor ihr, und das hiesige Essen hatte sie alle in die Höhe schießen lassen. Er hatte gehört, dass so etwas vorkam. Aber nein, entschied er, als er näher kam, es lag daran, dass es gar kein Mädchen war. Komisch, dass man das merkte. Meistens war es nichts besonders Auffälliges. Es war, als würde er ihr wirklich gern alles abkaufen, was sie tat, um ein Mädchen zu sein , als ließe es irgendeine unterschwellige Botschaft aus ihrer Knochenstruktur jedoch nicht zu.
»He«, sagte er.
»Das heißt, verzieh dich, was?«
»Na ja«, sagte Rydell. »Eigentlich schon.«
»Und ich soll eigentlich hier stehen und eine stumpfsinnige Kundschaft dazu bringen, sich einen blasen zu lassen. Wo ist der Unterschied?«
Rydell dachte darüber nach. »Du bist freischaffend«, sagte er schließlich, »ich bin angestellt. Wenn du dich für zwanzig Minuten ein Stück weiter hinstellst, feuert dich keiner.« Er konnte ihr Parfüm durch den komplexen Cocktail aus Umweltgiften und den geisterhaften Orangenduft riechen, der einem hier manchmal in die Nase stieg. Es gab Orangenbäume in der Gegend, es musste welche geben, aber er hatte noch nie einen entdeckt.
Sie sah ihn stirnrunzelnd an. »Freischaffend.«
»Genau.«
Sie wiegte sich gekonnt auf ihren hohen Absätzen und fischte eine Schachtel russische Marlboro aus ihrer pinkfarbenen Lackledertasche. Vorbeifahrende Autos ließen bei dem Anblick, wie der Lucky-Dragon-Wachmann mit diesem über eins achtzig großen Jungenmädchen sprach, bereits die Hupe ertönen, und jetzt machte sie bewusst etwas Illegales. Sie klappte die rot-weiße Schachtel auf und bot Rydell ostentativ eine Zigarette an. Es waren zwei fabrikmäßig hergestellte Filterzigaretten drin, aber eine war kürzer als die andere und hatte metallic-blauen Lippenstift am Filter.
»Nein, danke.«
Sie nahm die kürzere, halbaufgerauchte heraus und steckte sie sich zwischen die Lippen. »Weißt du, was ich an deiner Stelle täte?« Die Lippen um den braunen Filter sahen aus wie zwei mit glitzernder blauer Zuckerglasur überzogene Miniwasserbetten.
»Was?«
Sie zog ein Feuerzeug aus ihrer Handtasche. Eins der Dinger, die man in Tobacciana-Läden bekam. Deren Verkauf
wollten sie auch noch verbieten, hatte er gehört. Sie ließ es aufflammen und zündete sich die Zigarette an. Sog den Rauch ein, behielt ihn drin und stieß ihn dann aus, weg von Rydell. »Ich würd mich schleunigst vom Acker machen.«
Er schaute in den Lucky Dragon hinein und sah, wie Durius etwas zu Miss Praisegod Satansbane sagte, der Kassiererin dieser Schicht. Praisegod hatte Humor, und bei so einem Namen musste man den wohl auch haben. Ihre Eltern waren südkalifornische Neopuritaner von einem besonders bösartigen Schlag; den Namen Satansbane hatten sie vor Praisegods Geburt angenommen. Das Dumme sei, hatte sie Rydell erklärt, niemand wisse so genau, was »bane« bedeute – nämlich »Ruin« –, und wenn sie den Leuten ihren Nachnamen sage, dann glaubten die meistens, sie sei Satanistin. Deshalb nannte sie sich häufig Proby. So hatte ihr Vater geheißen, bevor er zu Gott gefunden hatte.
Jetzt sagte Durius wieder etwas, und Praisegod warf die Schultern zurück und lachte. Rydell seufzte. Er wünschte, Durius wäre mit dem Gehweg-Check dran gewesen.
»Hör mal«, sagte Rydell, »ich behaupte ja nicht, dass du nicht hier stehen darfst. Der Gehweg gehört allen. Ist ja nur wegen der Firmenpolitik.«
»Ich rauch jetzt die Zigarette auf«, sagte sie, »und dann ruf ich meinen Anwalt an.«
»Können wir’s nicht unter uns regeln?«
»Mh-mh.« Breites, metallic-blaues, Kollagen geschwollenes Lächeln.
Rydell schaute zu Durius hinüber und sah, dass dieser ihm Handzeichen gab. Er zeigte auf Praisegod, die ein Telefon in der Hand hielt. Hoffentlich hatten sie nicht die Bullen gerufen. Er hatte das Gefühl, dass dieses Mädchen wirklich einen Anwalt hatte, und das würde Mr Park nicht gefallen.
Jetzt kam Durius heraus. »Für dich«, rief er. »Sie sagen, es ist Tokio.«
»Entschuldige mich«, sagte Rydell und wandte sich ab.
»He«, sagte sie.
»He was?« Er blickte zu ihr zurück.
»Du bist süß.«
3 TIEF DRIN
Laney hört seine Pisse in die Plastik-Literflasche mit dem Schraubverschluss gurgeln. Er kniet ungelenk im Dunkeln und findet es unangenehm, wie sich die Flasche in seiner Hand erwärmt, während sie sich füllt. Er schraubt sie nach Gefühl zu und stellt sie aufrecht in die Ecke, die am weitesten von seinem Kopf
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