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Idoru-Trilogie - Gibson, W: Idoru-Trilogie - Virtual Light/Idoru/All Tomorrow´s Parties

Idoru-Trilogie - Gibson, W: Idoru-Trilogie - Virtual Light/Idoru/All Tomorrow´s Parties

Titel: Idoru-Trilogie - Gibson, W: Idoru-Trilogie - Virtual Light/Idoru/All Tomorrow´s Parties Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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Magneten gesichert, die in ein schlichtes Neusilberheft eingelassen sind. Die leicht gebogene Spitze der Klinge, die an den Beitel eines Holzschnitzers erinnert, neigt sich zum dunklen Puls der Schlagader in seiner Achselhöhle, als wollte sie ihm ins Gedächtnis rufen, dass auch er immer nur Zentimeter von jener Zeitlosigkeit entfernt ist, jenem Ort, an den das ertrunkene Mädchen vor so langer Zeit gegangen ist. Jenem anderen, wartenden Land.
    Sein Beruf ist Pförtner an der Tür zu diesem Land.
    Gezückt wird die schwarze Klinge zum Schlüssel. Hält er das Messer in der Hand, ist es der Wind.
    Die Tür schwingt sanft auf.
    Aber jetzt zieht er es nicht, und die Händler sehen nur einen grauhaarigen, auf wolfartige Weise professoralen Mann mit einem Mantel von der graugrünen Farbe gewisser Flechten, der hinter dem dünnen Goldrahmen seiner kleinen runden Brille zwinkert und die Hand hebt, um ein vorbeifahrendes Taxi zu stoppen. Aber sie stürzen nicht zu dem Taxi, um es zu beanspruchen, obwohl es ein Leichtes für sie wäre, und der Mann geht an ihnen vorbei, die Wangen vertikal von tiefen Klammern gefurcht, als hätte er früher einmal die Angewohnheit gehabt, viel zu lächeln. Sie sehen ihn nicht lächeln.
     
    Das Tao, ruft er sich in Erinnerung, als er auf der Post Street im Stau steckt, ist älter als Gott.
    Unter den Schaufenstern eines Juweliers sieht er einen Bettler sitzen. In den Fenstern stehen kleine, leere Podeste, formelle Abwesenheiten wertvoller Dinge, die jetzt für die Nacht weggeschlossen sind. Der Bettler hat Beine und Füße in braunes Papierband gewickelt, was verblüffend mittelalterlich wirkt, als hätte jemand aus Büromaterial den
unteren Teil eines Ritters geformt. Die straffen Waden, die spitz zulaufenden Zehen, eine Eleganz, die geradezu nach Zierbändchen schreit. Über dem Papierband ist der Mann ein verschwommener Fleck, ein spastisches Gekritzel; Beton und Pech haben sein Wesen abgeschliffen. Er hat die Farbe des Pflasters angenommen, man kann nicht einmal mehr sagen, von welcher Rasse er ist.
    Das Taxi macht einen Satz nach vorn. Der Mann greift in seinen Lodenmantel, um das Messer an seinen Rippen zurechtzurücken. Er ist Linkshänder, und er hat oft über diese subtilen Polaritäten nachgedacht.
    Das vor so langer Zeit ertrunkene Mädchen ist jetzt wieder zur Ruhe gekommen, ist in einem Strudel aus toffeefarbenem Haar und weniger schmerzhaften Erinnerungen dort hinabgespült worden, wo seine Jugend sich sanft in ihren gewohnten Gezeiten dreht, und nun geht es ihm besser.
    Die Vergangenheit ist vorbei, die Zukunft noch ungeformt.
    Es gibt nur den Moment, und nur dort möchte er sein.
    Und jetzt beugt er sich vor, um kurz an das getönte Sicherheitsglas des Fahrers zu klopfen.
    Er bittet darum, zur Brücke gefahren zu werden.
     
    Das Taxi hält vor einem regenfleckigen Gewirr von Panzersperren aus Beton, riesigen, rostgeäderten, von den stilisierten Initialen vergessener Liebespaare übersäten Rhomboiden.
    Dieser Ort hat einen gewissen Stellenwert in der romantischen Mythologie der näheren Umgebung und ist der Gegenstand zahlloser populärer Balladen.
    »Verzeihung, Sir«, sagt der Taxifahrer durch etliche Schichten schützenden Kunststoffs und digitaler Übersetzung hindurch, »aber wünschen Sie wirklich, dass ich Sie hier absetze? Diese Gegend ist gefährlich. Ich werde nicht
auf Sie warten können.« Es ist eine reine, gesetzlich vorgeschriebene Routinefrage, um einer etwaigen Klage vorzubeugen.
    »Danke. Mir droht keine Gefahr.« Sein Englisch ist ebenso förmlich wie das des Übersetzungsprogramms. Er hört ein melodisches Geplapper, als seine Worte in einer asiatischen Sprache wiedergegeben werden, die er nicht kennt. Die braunen Augen des Fahrers erwidern seinen Blick sanft und unbeteiligt durch Schutzbrille und Schild; multiple Schichten der Reflektion.
    Der Fahrer entriegelt ein magnetisches Schloss.
    Der Mann öffnet die Tür, steigt aus dem Taxi und streicht seinen Mantel glatt. Jenseits der Panzersperren ragen die zerklüfteten, steil herabstoßenden Terrassen über ihm empor, die flickenartige Überbauung, von der die Brücke umhüllt ist. Seine Stimmung hebt sich teilweise. Es ist ein berühmter Anblick, eine Touristenpostkarte, der bildgewordene Inbegriff dieser Stadt.
    Er schließt die Tür, das Taxi fährt davon und lässt den süßen Vanillegeruch seiner Benzin-Alkohol-Abgase zurück.
    Er steht da und schaut zur Brücke hinauf, zum silbrig gewordenen

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