Idoru-Trilogie - Gibson, W: Idoru-Trilogie - Virtual Light/Idoru/All Tomorrow´s Parties
Preis.
Es ist eine Welt innerhalb der Welt, und wenn es so etwas gibt wie Orte zwischen den Dingen der Welt, Orte, die in die
Lücken gebaut sind, dann gibt es auch dort gewiss Dinge und Orte dazwischen, und auch Dinge an diesen Orten. Aber das weiß Tessa nicht, und es ist nicht Chevettes Aufgabe, es ihr zu sagen.
Sie taucht unter einer losen Plastikbahn durch, hinein in feuchte Wärme und das Lichtspektrum von Treibhauslampen. Chemikaliengestank. Schwarzes Wasser, das zwischen bleiche Wurzeln gepumpt wird. Dies sind Heilpflanzen, nimmt sie an, aber wahrscheinlich keine Drogen im Straßensinn. Die werden weiter drüben Richtung Oakland angebaut, in einem irgendwie dafür reservierten Sektor, und an warmen Tagen hängt der Harzmief dort narkotisch in der Luft und löst ein fast wahrnehmbares Summen aus, eine geringfügige Veränderung der Wahrnehmung und des Willens.
»Hallo? Jemand da?«
Das Gurgeln von Flüssigkeit in transparenten Schläuchen. Ein schlickverschmiertes Paar abgenutzter gelber Wasserstiefel baumelt dicht dabei, aber keine Spur von der Person, die sie dort aufgehängt hat. Chevette bewegt sich rasch, ihre Füße erinnern sich, und sie geht dorthin, wo korrodierte Aluminiumsprossen aus faustgroßen Super-Epoxydharz-Placken ragen.
Die Kettenkugeln am Reißverschluss von Skinners alter Jacke klimpern, als sie hochsteigt. Diese Sprossen sind ein Hinterausgang, ein Fluchtweg für den Fall des Falles.
Sie klettert an der blassgrünen Sonne einer Treibhauslampe vorbei, die in einer korrodierten, sehr stabilen Fassung sitzt, und zieht sich die letzte Aluminiumsprosse hoch, durch eine enge, dreieckige Öffnung.
Es ist dunkel hier; die Stelle liegt im Schatten von Wänden aus regengeschwollenen Verbundstoffen. Dunkelheit, wo sie sich an Licht erinnert, und sie sieht, dass die Glühbirne oben in diesem umschlossenen Raum nicht mehr da
ist. Er ist das untere Ende von Skinners »Seilbahn«, des kleinen Zahnradlifts aus Schrottteilen, den ein Schwarzer namens Fontaine für ihn gebaut hat, und hier hat sie in ihrer Kurierfahrerzeit ihr Fahrrad angekettet, nachdem sie es eine andere, nicht so verborgene Leiter hinaufgetragen hatte.
Sie mustert die gezahnte Schiene des Zahnradlifts, wo das Schmierfett von Staubansammlungen stumpf ist. Die Gondel, ein gelber, städtischer Recycling-Container, hoch genug, dass man drin stehen und sich am Rand festhalten kann, wartet an der richtigen Stelle. Wenn sie hier ist, heißt das wahrscheinlich, dass der gegenwärtige Bewohner des Kabelturms nicht da ist. Sofern er sie nicht runtergeschickt hat, weil er Besuch erwartet, aber das bezweifelt Chevette. Es ist besser, die Gondel oben zu behalten, wenn man oben ist. Sie kennt dieses Gefühl.
Nun steigt sie Holzsprossen hinauf, eine primitivere Leiter aus Kantholz, bis sie den Kopf über den oberen Rand des Sperrholzes hinausstreckt und gleich wieder unterm Wind und dem silbrigen Licht einzieht. Sieht eine Möwe keine sechs Meter entfernt vor der Kulisse der Hochhaustürme der Stadt fast reglos in der Luft stehen.
Der Wind zerrt an ihren Haaren, die jetzt länger sind als zu der Zeit, als sie hier gewohnt hat, und ein Gefühl, das sie nicht benennen kann, stellt sich ein wie etwas, was sie seit jeher kennt, und sie hat keine Lust mehr weiterzuklettern, denn sie weiß jetzt, dass es das Zuhause, an das sie sich erinnert, nicht mehr gibt. Nur seine im Wind summende Hülse, wo sie einmal in Decken gehüllt gelegen und Schlosserfett, Kaffee und frisch gesägtes Holz gerochen hat.
Wo sie, wie ihr plötzlich bewusstwird, manchmal glücklich gewesen ist – glücklich in dem Sinne, dass sie irgendwie vollständig war und bereit für das, was ein neuer Tag bringen mochte.
Und sie weiß, dass sie es jetzt nicht mehr ist und es kaum gemerkt hat, als sie es war.
Sie zieht die Schultern hoch, schmiegt sich in den Panzer von Skinners Jacke, stellt sich vor, wie sie weint, obwohl sie weiß, dass sie es nicht tun wird, und klettert wieder hinunter.
20 BOOMZILLA
Boomzilla sitzt auf dem Randstein neben dem Wagen, den er bewachen soll — die beiden Schnepfen haben gesagt, er kriegt Geld dafür.
Wenn die nicht wiederkommen, holt er sich jemand, der ihm hilft, und räumt ihn aus. Diesen Roboterballon hätt er gern, den von der blonden Schnepfe. Der ist geil. Den so rumfliegen lassen. Die andre Schnepfe hat wie ’ne Bikerbraut ausgesehn mit ihrer großen alten Jacke, ’nem Ding wie aus der Mülltonne gefischt. Hat ausgesehn, als könnt
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