Idoru-Trilogie - Gibson, W: Idoru-Trilogie - Virtual Light/Idoru/All Tomorrow´s Parties
nicht genau, wie.«
Libia wird wieder zu einer rotierenden Kugel.
Laney schließt die Augen und tastet im engen, elektrischen Dunkel nach dem blauen Hustensirup. Er spürt den Blick des hasserfüllten gelben Auges, stellt sich aber vor, es wäre das von Harwood.
Harwood weiß Bescheid.
Harwood hat das 5-SB genommen.
Harwood ist wie er.
Aber Harwood hat seinen eigenen Plan, und aus diesem Plan geht die Situation teilweise hervor.
Laney öffnet den Verschluss. Trinkt den blauen Sirup. Er muss jetzt nachdenken.
44 EIGENTLICH
Es würde nicht wieder anfangen zu regnen, entschied Chevette und wackelte mit den Schultern unter Skinners schwer lastender Jacke.
Sie hockte auf einer Bank hinter einem Stapel leerer Geflügelkästen, und ihr war klar, dass sie irgendwohin gehen sollte, aber sie konnte es einfach nicht. Sie dachte daran, dass Skinner hier gestorben war, daran, was Fontaine gesagt hatte. Der Griff des Messers in der Innentasche bohrte sich in ihr linkes Schlüsselbein, weil sie so krumm dasaß. Sie streckte den Rücken, lehnte sich ans Sperrholz hinter ihr und versuchte, sich zusammenzureißen.
Sie musste Tessa finden und zum Van zurückkehren, und zwar, wenn irgend möglich, ohne dabei auf Carson zu treffen. Vielleicht hatte er ja gar nicht mitgekriegt, wie sie abgehauen war, dachte sie, obwohl sie irgendwie sicher war, dass er in dem Moment, als sie ihn gesehen hatte, auf der Suche nach ihr und nur nach ihr gewesen war. Aber wenn er sie nicht gesehen hatte – und da er sie dort ja nicht gefunden hatte –, war diese Bar jetzt wahrscheinlich der letzte Ort, wo sie damit rechnen musste, ihn anzutreffen. Und wenn er sie gesehen hatte, dann würde er nicht glauben, dass sie dorthin zurückkehren würde. Auch dann war er also bestimmt längst weg. Aber Tessa, die gern Bier trank, war vielleicht immer noch dort, denn sie war nicht eben scharf darauf gewesen, sich in dem Van schlafen zu legen. Wahrscheinlich fand Tessa die Bar total interstitiell, also war es durchaus möglich, dass Chevette vorsichtig reinschlüpfen, sie holen und mit ihr zum Van zurückkehren
konnte. Es war kaum anzunehmen, dass Carson am unteren Ende der Folsom rumschnüffeln würde, und wenn doch, würde er höchstwahrscheinlich an Leute geraten, für die er leichte Beute wäre.
Aber es war nicht gut, hier so nah an den Hühnerkästen zu sitzen, denn da konnte man sich prima Läuse einfangen, und allein schon beim Gedanken daran begann ihre Kopfhaut zu jucken. Sie stand auf, streckte sich, roch den schwachen Ammoniakgestank von Hühnerkot und setzte sich auf der oberen Ebene Richtung Stadt in Bewegung, wobei sie nach Carson Ausschau hielt.
Jetzt waren nur wenige Leute unterwegs, und überhaupt keine Touristen. War häufig so, wenn es geregnet hatte, erinnerte sie sich. Wieder einmal überkam sie das Gefühl, dass sie diesen Ort liebte, aber eigentlich nicht mehr dazugehörte. Es war irgendwie in sie reingedreht, wie ein Haken – kein schönes Gefühl, aber scharf und tief. Sie seufzte und dachte daran, wie sie morgens im Nebel mit dem Rad auf der Schulter vom Kabelturm runter gekommen und zu Allied rübergestrampelt war, sich gefragt hatte, ob Bunny wohl gleich eine Sahnetour für sie haben würde oder einen Blindgänger, wie sie eine Tour zu einem Kunden außerhalb des Stadtkerns nannten. Manchmal fand sie einen Blindgänger ganz gut, weil sie Stadtteile zu sehen bekam, durch die sie vorher vielleicht noch nie gefahren war. Und manchmal war sie auf Standby, wie sie es nannten, wenn nichts zu tun war, und das konnte auch toll sein, dann ging sie einfach rüber ins Alcoholocaust oder eine der anderen Kurierbars und trank Espresso, bis Bunny sie über Pager anrief. Es war ziemlich gut gewesen, für Allied zu fahren. Sie hatte nie einen Adler gemacht, einen schlimmen Sturz gebaut, und die Cops waren nicht ganz so versessen darauf, einem einen Strafzettel zu verpassen, wenn man ein Mädchen war; sogar auf dem Gehweg konnte man da fahren oder so. Allerdings lag ihr nichts ferner, als jetzt wieder
mit dem Kurierfahren anzufangen, und das brachte ihre miese Stimmung zurück, denn sie wusste nicht, was sie sonst tun sollte. Na, wie auch immer, in irgendwelchen neuen Versionen von Tessas Doku würde sie jedenfalls nicht mitspielen.
Sie erinnerte sich an diese dürre Technikerin namens Tara-May, die Cops in Schwierigkeiten ihnen geschickt hatte, damit sie Material über den armen Rydell drehte, der nie was anderes gewollt hatte, als in einer
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