Idoru-Trilogie - Gibson, W: Idoru-Trilogie - Virtual Light/Idoru/All Tomorrow´s Parties
Gesicht, blinzelte ihn an, schaute sich um, sah die Steckdose. Steckte ihn hinein. Drehte sich wieder zu Rydell um, wie verwirrt von dem, was sie gerade getan hatte.
Der Mann mit dem Tanto zog sich einen Stuhl heran, stellte ihn an den Tisch und nahm gegenüber von Maryalice Platz. Er tat das irgendwie auf eine Weise, die so wenig Aufmerksamkeit wie möglich beanspruchte. »Und Sie«, sagte Maryalice mit einem raschen, prüfenden Blick auf ihr Dekolletée zu ihm, »Sie sind garantiert ein Label-Boss, hab ich Recht?«
»Leber?«
»Wusste ich’s doch«, sagte Maryalice grinsend.
Rydell hörte den Projektor summen.
Und dann stand Rei Toei an ihrem Tisch, und Rydell wusste, dass er sie erneut eine Sekunde lang nackt gesehen hatte, leuchtend und weiß, aber jetzt trug sie ein Outfit, das mit dem von Maryalice identisch war. »Hallo, Berry Rydell«, sagte sie, dann schaute sie an sich herab und zog die Schnüre am oberen Rand des schwarzen Dings zu, das sie trug.
»He«, sagte Rydell.
»Na, da geb’s mir doch einer mit der Brustpumpe.« Maryalices Stimme war leise vor Staunen, als sie Rei Toei anstarrte. »Ich schwör bei Gott, ich hab dich gar nicht hier stehen sehen …«
Der Mann mit dem Tanto sah Rei Toei ebenfalls an. Das Licht ihrer Projektion spiegelte sich in den runden Brillengläsern.
»Sind wir hier in einem Nachtclub, Berry Rydell?«
»In einer Bar«, sagte Rydell.
»Rez mochte Bars.« Sie ließ den Blick über die Menge schweifen. »Ich habe den Eindruck, dass die Leute in Bars eigentlich immer Selbstgespräche führen, auch wenn sie miteinander reden. Liegt das daran, dass die höheren Gehirnfunktionen dort zwecks Erholung abgeschaltet sind?«
»Dein Top find ich echt super«, sagte Maryalice.
»Ich bin Rei Toei.«
»Maryalice«, sagte Maryalice und streckte die Hand aus. Die Idoru tat das Gleiche, und ihre Hand ging durch die von Maryalice hindurch.
Maryalice erschauerte. »Für heut Abend hab ich genug intus, glaub ich«, sagte sie wie zu sich selbst.
»Ich bin Rei Toei.« Zu dem Mann mit dem Tanto.
»Guten Abend.«
»Ich kenne Ihren Namen«, sagte sie sanft zu dem Mann. »Ich weiß sehr viel über Sie. Sie sind eine faszinierende Person. «
Er sah sie an. Seine Miene hatte sich nicht verändert. »Vielen Dank«, sagte er. »Mr Rydell, beabsichtigen Sie, hier bei Ihren Freunden zu bleiben?«
»Vorläufig schon«, sagte Rydell. »Ich muss mal telefonieren. «
»Wie Sie wollen«, sagte der Mann. Er drehte sich um und warf einen Blick zum Eingang, und genau in diesem Augenblick kam der Schal hereingeschlendert und sah sie alle sofort.
Noch mehr Unannehmlichkeiten, dachte Rydell.
51 KUNSTBAR
In der erquicklicheren Phase seines Jobs bei Paragon-Asia Dataflow hatte Laney zwei Lieblingsbars in Tokio gehabt: das Trouble Peach, einen ruhigen Laden in der Nähe des Bahnhofs Shimo-kitazawa, in dem man einen gepflegten Drink zu sich nehmen konnte, und das Reason of Life, eine Kunstbar im Keller eines Bürohauses in Aoyama. Das Reason of Life war Laneys Ansicht nach eine Kunstbar, weil es mit riesigen Schwarz-Weiß-Drucken junger Frauen dekoriert war, die mit altmodischen Spiegelreflexkameras ihren eigenen Schritt fotografierten. Das waren so anspruchslose Bilder, dass es anfangs eine Weile dauerte, bis einem klarwurde, was sie da eigentlich machten. Meistens standen sie auf belebten Straßen, den Fotoapparat auf dem Gehweg zwischen den Füßen, grinsten in die Linse und betätigten einen Drahtauslöser. Die meisten trugen Pullover und Faltenröcke und lächelten einen mit einem ganz besonders unschuldigen Eifer an. Niemand hatte Laney erklärt, worum es dabei eigentlich ging, und es wäre ihm nicht in den Sinn gekommen zu fragen, aber er erkannte Kunst, wenn er welche sah, und jetzt sah er sie wieder, denn der Hahn, der irgendwoher wusste, dass Laney die Bar in Aoyama mochte, hatte beschlossen, sie hier in der Ummauerten Stadt aus dem Stegreif zu reproduzieren.
Jedenfalls zieht Laney sie dem Frisiersalon aus schlecht aneinander montierten Grafikfliesen vor. Man kann sich diese Mädchen ansehen, lauter kühle, monochrome Abbildungen von Wolle und Haut und anderen städtischen Texturen, und er findet das erholsam. Es ist jedoch ein eigenartiges
Gefühl, in einer Bar zu sitzen, wenn man keinen Körper dabei hat.
»Sie wollen nicht so recht damit rausrücken«, sagt der Hahn über Libia und Paco und wie es ihnen gelungen sein mag, Cody Harwoods allerprivatestes Kommunikationsmittel zu hacken.
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