Idoru-Trilogie - Gibson, W: Idoru-Trilogie - Virtual Light/Idoru/All Tomorrow´s Parties
»Vielleicht haben sie einen Agenten in Harwood Levines Kommunikationssatelliten eingeschleust. Physisch, meine ich. Etwas Kleines. Sehr Kleines. Aber wie hätten sie ihn steuern sollen? Und wie lange hätte es gedauert, in der Hardware da oben eine physische Veränderung vorzunehmen, ohne dabei entdeckt zu werden?«
»Sie haben bestimmt eine elegantere Lösung gefunden«, meint Klaus, »aber letztlich ist es mir egal. Zugriff ist Zugriff. Mit welchen Mitteln er erfolgt, ist eine akademische Frage. Wir haben Harwoods Hotline gehackt. Sein rotes Telefon. «
»Und ihr habt die Angewohnheit, euch selbst auf die Schulter zu klopfen«, sagt Laney. »Wir wissen, dass Harwood 5-SB genommen hat, aber wir wissen nicht warum, und auch nicht, was er mit seiner nodalen Wahrnehmung anfängt. Ihr seid anscheinend überzeugt, dass es was mit dem Lucky Dragon und der Einführung dieser halbgaren Nanofax-Sache zu tun hat.«
»Du etwa nicht?«, fragt Klaus. »Jeder Lucky Dragon auf der Welt wird mit Nanofax-Geräten ausgerüstet. In diesem Moment. Wortwörtlich. Die meisten sind fertig installiert und könnten sofort in Betrieb gehen.«
»Und den ersten taiwanesischen Teddybär von Des Moines nach Seattle faxen? Was will er damit erreichen?« Laney konzentriert sich auf sein Lieblingsmädchen, stellt sich ihren Daumen auf dem Kolben eines Drahtauslösers wie auf einer Spritze vor.
»Es geht um Netze«, wirft der Hahn ein. »Man darf die Sache nicht von der Funktion her betrachten, auch nicht von ihrer vorgeblichen Funktion her. Jede Funktion ist vorgeblich,
wenn man so will. Vorläufig. Er will ein Netz knüpfen. Was sich damit anfangen lässt, kann er auch später noch rausfinden.«
»Aber wieso muss er denn überhaupt was damit zu tun haben?«, fragt Laney.
»Weil er zwischen Baum und Borke sitzt«, antwortet Klaus. »Er ist vielleicht der reichste Mann der Welt, aber er ist auch dem Feld weit voraus. Er ist ein Agens der Veränderung, aber er hat auch massiv in den Status quo investiert. Er verkörpert paradoxe Möglichkeiten. Zu hip, um zu leben, zu reich, um zu sterben. Kapiert?«
»Nein«, sagt Laney.
»Wir glauben, dass er uns im Grunde sehr ähnlich ist«, erklärt Klaus. »Er versucht, die Realität zu hacken, aber das macht er im großen Stil, und er wird den Rest der Spezies dabei mitnehmen, egal was und wie er’s macht.«
»Das muss man schon bewundern, nicht?«, sagt der Hahn aus den Tiefen seines stummen Pseudo-Bacon-Schreis heraus.
Laney ist sich da nicht so sicher.
Er fragt sich, ob zum neuen Reason of Life des Hahns auch die winzige, sechssitzige Bar ein Stockwerk tiefer gehört, wo es dunkler ist und wo man unter den sehr großen Selbstporträts dieser Mädchen sitzen kann: riesigen, abstrakten Dreiecken leuchtend weißer Gelatinedruck-Höschen.
»Könnt ihr mir jederzeit so ’nen Einblick in Harwoods Aktivitäten verschaffen?«
»Solange er dich nicht bemerkt, schon.«
52 MEIN FREUND IST WIEDER DA
Damals als sie noch auf der Brücke gelebt hatte, war Chevette mit einem Typen namens Lowell zusammen gewesen, der Dancer nahm.
Lowell wiederum hatte einen Freund namens Codes gehabt, der so genannt wurde, weil er die Codes von heißen Telefonen und Notebooks verwürfelte, und dieser Saint Vitus erinnerte sie an Codes. Der hatte sie auch nicht leiden können.
Chevette hasste Dancer. Sie hasste es, mit Leuten zusammen zu sein, die gerade welches genommen hatten, denn es machte sie egoistisch, übermäßig selbstgefällig und nervös; sie wurden argwöhnisch, sahen immer gleich Gespenster, bildeten sich ein, alle hätten es nur auf sie abgesehen, alle würden sie belügen und hinter ihrem Rücken über sie reden. Und sie hasste es ganz besonders, dabei zusehen zu müssen, wie jemand das Zeug nahm, es sich auf diese typische Weise ins Zahnfleisch rieb, ganz scheußlich war das, weil es einfach so abartig war. Zuerst wurden ihre Lippen taub, so dass sie ein bisschen sabberten, und das fanden sie dann auch noch total komisch. Am schlimmsten fand sie jedoch daran, dass sie es auch selbst schon genommen hatte und dass sie, als sie jetzt zusah, wie Saint Vitus sich eifrig eine satte Dosis ins Zahnfleisch massierte, trotz dieser ganzen guten Gründe, das Zeug zu verabscheuen, den Drang verspürte, ihn um etwas zu bitten.
Das meinten sie vermutlich damit, wenn sie sagten, der Stoff mache süchtig. Sie hatte nur eine winzige Prise von dem Country-Sänger abgekriegt, als der ihr die Zunge in
den Mund gesteckt
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