Idoru-Trilogie - Gibson, W: Idoru-Trilogie - Virtual Light/Idoru/All Tomorrow´s Parties
hatte (und wenn man es nur auf die Art kriegen könnte, würde sie drauf verzichten, dachte sie), und schon zupften die Diz-Moleküle an Rezeptoren in ihrem Gehirn und sagten: »Gib her, gib her.« Und dabei war sie nicht mal richtig drauf gewesen, jedenfalls nicht in dem Sinne, wie sie es meinten, wenn sie das auf der Straße sagten.
Da Carson bei Real One mal eine Sequenz über die Geschichte der Stimulantien koordiniert hatte, wusste Chevette, dass der Suchtfaktor von Dancer viel höher war als der von Crack-Kokain. Die Sucht schlug zwar nicht ganz so gnadenlos schnell zu, aber sie glaubte, dass sie trotzdem nur knapp dran vorbeigeschrammt war damals, als sie mit Lowell ab und zu mal was genommen hatte. Mit Lowell, der sich immer wieder lang und breit darüber ausgelassen hatte, dass der von ihm ausgearbeitete Drogeneinnahmeplan seine Funktionstüchtigkeit in der Realität optimieren, aber keinesfalls so eine hässliche Suchtgeschichte zur Folge haben würde. Man musste eben mit dem Zeug umgehen können, musste wissen, wann man es nahm und vor allem, warum. So starkes Zeug, erklärte Lowell immer wieder, sei nicht einfach nur für den Drang da, mal so nebenbei zur Erholung abzuspritzen. Es solle einen befähigen, was zu machen. Solle einem Power geben, sagte er, so dass man was machen und es vor allem auch zu Ende bringen könne.
Bloß dass Lowell, wenn er auf Diz war, vor allem Sex machen wollte, die Sache aber gerade wegen des Diz nicht zu Ende bringen konnte. Was Chevette nicht weiter gestört hatte, weil er ansonsten eher einer von der schnellen Truppe gewesen war. In der Sequenz bei Real One hatte es geheißen, Dancer ermögliche den Männern ein Erlebnis, das dem weiblichen Orgasmus viel näher komme, eine Art langgezogener, weniger stark lokalisierter und, nun ja, nicht so schmieriger Klimax.
Dancer war ziemlich tödliches Zeug – zunächst einmal insofern, als es die Leute dazu brachte, miteinander ins
Bett zu springen. Wenn Fremde zusammen Dancer nahmen und es auch nur im Geringsten zwischen ihnen knisterte, fanden sie sehr rasch, dass es im Grunde eine gute Idee war, die man am besten sofort in die Tat umsetzen sollte, allerdings nur, wenn sich der oder die andere auch bereiterklärte, es zu treiben, bis beide so gut wie tot waren.
Und die Leute starben wirklich, wenn der Stoff im Spiel war; Herzen hörten auf zu schlagen, Lungen vergaßen zu atmen, winzige, lebenswichtige Gehirnareale explodierten. Die Leute brachten einander im Dancer-Rausch um und später auch andere kaltblütig, um sich noch mehr von dem Zeug zu beschaffen.
Es war eine üble Droge, daran bestand kein Zweifel.
»Hast du noch was davon?«, fragte sie Saint Virus, der sich mit einem dicken Papiertaschentuch voller brauner, getrockneter Blutklümpchen an den spuckeglatten Mundwinkeln herumtupfte.
Saint Virus fixierte sie mit seinen schlitzartigen Brillengläsern. »Du machst wohl Witze«, sagte er.
»Ja«, Chevette stieß sich vom Hocker ab, »hast Recht.« Musste an der fortgeschrittenen Zeit liegen. Was war nur in sie gefahren? Sie roch seinen metallischen Atem in der Tonkabine.
»Das war’s«, sagte Tessa und nahm die Brille ab. »Die Menge lichtet sich. Chevette, du musst mir helfen, die Kameraträger einzusammeln.«
Saint Virus grinste blöde. Darüber, vermutete Chevette, dass jemand anders so was wie Arbeit zu erledigen haben könnte.
»Carson hast du nicht gesehen, oder?«, fragte Chevette und trat ans Fenster. Von oben betrachtet, bewegte sich die schrumpfende Menge auf eine Art, die den Gedanken nahelegte, dass es dafür einen Logarithmus gab: durcheinanderlaufen und sich zerstreuen.
»Carson?«
Sie erspähte Buell Creedmore direkt vor der Bühne; er sprach mit einem stämmigen Burschen in einer schwarzen Jacke, der mit dem Rücken zur Tonkabine stand. Dann sprang der korpulente Gitarrist, der mit dem zerknautschten Cowboyhut, von der Bühne und machte Creedmore offenbar die Hölle heiß. Creedmore wollte etwas sagen, wurde zum Schweigen gebracht, schaffte es dann, etwas Kurzes und – seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen – nicht gerade Freundliches von sich zu geben, worauf der Gitarrist sich umdrehte und wegging. Chevette sah, dass Creedmore etwas zu dem anderen Burschen sagte und in ihre Richtung zeigte, worauf der sich in Bewegung setzte. Sein Gesicht wurde aus diesem Blickwinkel von einem staubigen, durchhängenden, schwarz gestrichenen Kabelbündel verdeckt.
»Er war vorhin hier«, sagte Chevette.
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