Idoru-Trilogie - Gibson, W: Idoru-Trilogie - Virtual Light/Idoru/All Tomorrow´s Parties
krachte gegen Holz, und Fontaine sprang von der Tür weg. Draußen kam ein dreirädriges Geländefahrzeug abrupt zum Stehen; Tessa saß breitbeinig auf dem
Sitz des ATV hinter einem mondgesichtigen Jungen, der eine schwarze, verkehrt herum aufgesetzte Netzkappe und ein schwarzes T-Shirt trug. Tessa hatte ihre Input-Brille auf der Nase und Kontrollhandschuhe an beiden Händen. Sie nahm die Brille ab und strich sich die Haare aus den Augen. »Los, komm, Chevette.«
»Runter von dem verdammten Trike, Schätzchen«, sagte der Junge mit dem runden Gesicht. »Nicht viel Platz zum Wenden hier.«
Tessa sprang ab, betrat den Laden und schaute zu Gottes kleinem Spielzeug hinauf. »Ich krieg keinen Ton rein«, sagte sie.
Der Junge brachte die in den hinteren Radnaben des ATV angebrachten Motoren auf Touren und schaltete einen davon in den Rückwärtsgang. Das Trike schwankte hin und her, vor und zurück, und drehte sich dabei, so dass seine Nase wieder Richtung San Francisco zeigte. »Na los , Schätzchen«, sagte er.
»Ich hab Flammen auf zwei Kameras«, sagte Tessa. »Das verdammte Ding brennt.«
»Wird Zeit, dass wir verschwinden.« Rydell legte Chevette die Hand auf die Schulter. »Mr Fontaine, Sie fahren mit Chevette.«
»Ich fahr nirgendwohin, mein Junge«, gab Fontaine zurück.
»Die Brücke brennt, Mr Fontaine.«
»Ich lebe hier.«
»Komm schon, Rydell«, sagte Chevette und packte ihn am Hosenbund.
Tessa, die wieder hinter ihrem Netzkappenfahrer aufgestiegen war, setzte ihre Input-Brille auf. »Du lieber Himmel«, sagte sie, »einfach unglaublich, was ich hier an Bildern reinkriege …«
Chevette zerrte Rydell durch die Tür hinaus und kletterte hinten aufs ATV. Sie setzte sich auf eine Art Seitensattel
und machte Platz für Rydell. »Augenblick mal«, protestierte Rydell, »wir können sie doch nicht einfach hierlassen.«
»›Wir‹? He, Mann, ich nehm euch nicht mit«, aber dann sah der mondgesichtige Junge die Chain Gun und verstummte.
»Fahrt los«, sagte Fontaine. Er stand da und hatte dem Jungen mit dem Helm, dessen Augen Rydell mit einer Art animalischer Ruhe betrachteten, den Arm um die Schulter gelegt. »Fahrt los. Wir kommen hier schon klar.«
»Tut mir leid«, sagte Rydell. »Tut mir leid, das mit Ihrem Laden …«
»Dein Arsch wird dir leidtun, wenn du nicht endlich verschwindest. «
Chevette hörte eine Frau schreien, Richtung San Francisco, und zerrte heftig an Rydells Hosenbund. Der Knopf vorn an seiner khakibraunen Hose sprang ab. Er stieg hinten an der anderen Seite auf und hielt sich mit einer Hand fest. Die Chain Gun behielt er in der anderen.
Das Letzte, was sie von dem leuchtenden Mädchen sah, war, dass es etwas zu dem Mann sagte, den es Konrad genannt hatte. Dann trat Tessas Netzkappe aufs Gas, und sie fuhren los, Richtung Stadt. »Mach’s gut, Fontaine«, rief Chevette, aber sie bezweifelte, dass er es hörte.
Sie erinnerte sich an die Nacht, als ein Feuer in den Hügeln oberhalb des WG-Hauses gewütet hatte. Überall im Buschwerk ums Haus herum waren die Vögel im Dunkeln erwacht, weil sie es spürten. All ihre Stimmen.
Und durch das Sperrholz-Patchwork über ihnen hörte sie es jetzt auch: das dumpfe Brausen der Feuersbrunst.
60 RATTEN WISSEN BESCHEID
Fontaine ist klar, dass die Brücke brennt, als er aus dem Laden schaut und eine Ratte vorbeihuschen sieht, Richtung Oakland. Dann noch eine, und eine Dritte. Ratten wissen Bescheid, und die Brückenratten gelten als die klügsten, weil ihnen die Meute wilder Katzen auf der Brücke ebenso ausdauernd nachstellt wie die unzähligen genauso wilden Kinder mit ihren aus Flugzeugaluminium und IV-Schläuchen gebastelten Schleudern. Diese Brückenschleudern sind nicht nur für Ratten tödlich; ihre Benutzer haben nämlich ein Faible für Kugeln aus massivem, feuchtem Lehm, ein aus dem Mittelalter herübergeretteter, nicht zu unterschätzender Trick.
Fontaine sieht zu, wie die Ratten vorbeiflitzen, und seufzt. Irgendwo hat er ein Feuerwehrbeil, Bergungsgut von einem Schlepper, der 2003 im China Basin gesunken ist, und auch einen Feuerlöscher, aber er kann sich nicht vorstellen, dass die ihnen viel nützen werden, obwohl sie natürlich ein Loch in die Rückwand hacken und in die Bucht springen könnten. Er fragt sich, ob es dort wirklich Haie gibt, wie die Brückenkinder glauben. Allerdings weiß er mit Sicherheit, dass es da unten mutierte Fische gibt, die angeblich von Oxiden aus den Pfeilern der Kabeltürme deformiert worden
Weitere Kostenlose Bücher