Idoru-Trilogie - Gibson, W: Idoru-Trilogie - Virtual Light/Idoru/All Tomorrow´s Parties
sind.
Fontaine hat jedoch schon viele Katastrophen öffentlicher wie auch ehelicher Art überstanden, und etwas in ihm glaubt wider alle Wahrscheinlichkeit und jede Hoffnung, dass alles schon irgendwie gut ausgehen wird. Oder dass man gegen gewisse Dinge gemeinhin eh nicht viel machen kann, zumindest er nicht.
Statt also den Schrank zu durchwühlen, in den er dieses Feuerwehrbeil getan hat, wie er sich zu erinnern glaubt, nimmt er jetzt seinen Besen zur Hand und fängt an, im vorderen Teil des Ladens sauberzumachen. Er fegt so viel Glas wie möglich auf einen Haufen bei der Tür zusammen. Glas, überlegt er beim Fegen, ist eine jener Substanzen, die relativ wenig Platz einnehmen, bis man es zerbricht. Aber er entsinnt sich, mal gelernt zu haben, dass es – über wahrhaft kosmische Zeiträume hinweg betrachtet – auch eine Flüssigkeit ist. Alles Glas in sämtlichen Fensterscheiben überall auf der Welt ist in dem unendlich langsamen Prozess des Schmelzens, Heruntersackens und Herabrutschens begriffen, nur dass kaum eine Scheibe die Jahrtausende überdauern wird, die es brauchte, um sie in eine echte Pfütze zu verwandeln.
Derweil gesellen sich draußen flüchtende Menschen zu den Ratten, Gefährten so verschiedener Art, wie sie nur die Brücke zu bieten hat. Er hofft, dass Clarisse und die Kinder in Sicherheit sind; er hat versucht, sie anzurufen, aber es hat sich niemand gemeldet, und unter den gegebenen Umständen schien es wenig sinnvoll, eine Nachricht zu hinterlassen.
Er schaut sich um und sieht Rydells Hologrammfreundin am Bett knien und mit dem Jungen sprechen. Neben dem Jungen sitzt der Professor, der sich die Kit Gun ausgeborgt hatte, und sie kommen Fontaine in diesem Moment wie eine vielleicht ungewöhnliche, aber durchaus liebevolle Familiengruppe vor. Fontaine hat solange mit dem technischen Wandel gelebt, dass er nicht nach dem Wie oder Warum fragt, was dieses Mädchen betrifft: Sie ist wie ein Spieleprogramm, das in die Realität überwechselt und sich zu einem ins Zimmer setzt, denkt er, und manche Leute fänden das ganz prima.
Nun stößt er beim Fegen an ein Hindernis: die hingemeuchelten Another-One-Puppen in ihrer Pfütze aus konsensuellem
Silikon. Wenigstens spricht jetzt keine mehr. Es sieht schrecklich und grausam aus, wie er mit dem Besen inmitten von Glasscherben gegen sie stößt, und darum lehnt er den Besen an den Tresen und fischt eine an den schlaffen Armen aus dem Glas. Er trägt das pseudo-japanische Baby nach draußen und legt es vor dem Laden auf den Rücken. Die anderen folgen, und als er gerade das letzte hinlegt, sieht eine dicke Frau, die mit einer Bettdecke voller nasser Wäsche in den Armen Richtung Treasure Island flieht, was er da tut, und fängt an zu schreien. Und schreit die ganze Zeit weiter, bis die Dunkelheit sie verschluckt, und ist immer noch zu hören, als er wieder in den Laden hineingeht und an Tourmaline denkt, seine erste Frau.
Jetzt ist Rauch in der Luft, und vielleicht ist es nun wirklich an der Zeit, ein Beil zu suchen.
61 FUTUREMATIC
Das Gebilde, das Laney sieht, wenn er Harwood, die Idoru, Rydell und diese anderen betrachtet, ist für ihn nie ein Ort, ein bewohnbarer Raum gewesen. Angetrieben von einer neuen Eile (und praktisch um die gesamte Bevölkerung der Ummauerten Stadt vermehrt, die in einem Modus der Simultanität arbeitet der ziemlich nah an Einklang heranreicht) gelingt es ihm nun, tatsächlich dort zu sein, in einem Raum, der von den sich herausbildenden Faktoren des Knotenpunkts definiert wird. Es ist ein Ort, wo die Metapher zusammenbricht, ein deskriptives schwarzes Loch. Er ist ebenso wenig fähig, ihn sich selbst zu beschreiben, als er sich dort befindet, wie er ihn anderen beschreiben kann.
Die meiste Ähnlichkeit hat dieser Ort, wo die Geschichte eine Wende nimmt, jedoch mit dem von ihm postulierten Loch im Kern seines Wesens: eine Leere bar jeder Dunkelheit wie auch jedes Lichts.
Und Harwood – er weiß es sofort, wenn auch ohne zu wissen, woher – ist dort.
– Harwood?
– Colin Laney. Ein Abend für Wunder. Für das Unerwartete.
– Sie haben ihnen befohlen, die Brücke in Brand zu stecken.
– Gibt es denn keine Privatsphäre mehr?
– Sie versuchen, sie aufzuhalten, nicht wahr?
– Ich glaube schon, ja, obwohl ich gar nicht genau weiß, wobei. Sie ist ein emergentes System. Sie weiß es selbst nicht.
– Wissen Sie’s? Wissen Sie, was Sie wollen?
– Ich will ein gewisses Maß funktionierender Nanotechnologie
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