Idoru-Trilogie - Gibson, W: Idoru-Trilogie - Virtual Light/Idoru/All Tomorrow´s Parties
mochte, die Freddie ihm gegeben hatte, transferierte er seine Brieftasche in die rechte Gesäßtasche seiner neuen Jeans und zog seine neue Jacke an. Er wusch sich die Hände und das Gesicht in einem Rinnsal sandigen Wassers, kämmte sich die Haare, packte den Rest seiner neuen Sachen in den Samsonite und behielt die Container-City-Tüte für Schmutzwäsche.
Er hätte gern geduscht, aber er wusste nicht, wann er dazu kommen würde. Saubere Sachen waren das Zweitbeste.
Warbaby blickte auf, als Rydell an seinen Tisch zurückkam. »Freddie hat Ihnen ein bisschen was über die Brücke erzählt, stimmt’s, Rydell?«
»Er sagt, das sind alles Kinderfresser und Teufelsanbeter.«
Warbaby funkelte Freddie an. »Vielleicht zu farbig formuliert, aber unangenehm nah an der Wahrheit, Mr Rydell.
Absolut kein gesunder Ort. Und praktisch außerhalb der Reichweite des Gesetzes. Unsere Freunde Swobodow oder Orlowsky werden Sie da draußen zum Beispiel nicht antreffen. Jedenfalls nicht in ihrer offiziellen Eigenschaft.«
Rydell bemerkte, dass Freddie darüber zu grinsen begann, sah jedoch, wie das Grinsen unter Warbabys wütendem Blick sofort wieder erlosch.
»Freddie hat mir zu verstehen gegeben, dass Sie mich da rausscheuchen wollen, Mr Warbaby. Dass ich hingehen und dieses Mädchen suchen soll.«
»Ja«, sagte Warbaby ernst, »so ist es. Ich wünschte, ich könnte Ihnen sagen, dass es ungefährlich ist, aber das ist nicht der Fall.«
»Tja … Wie gefährlich ist es denn, Mr Warbaby?«
»Sehr gefährlich«, antwortete Warbaby.
»Und dieses Mädchen, ist die auch gefährlich?«
»Höllisch gefährlich«, sagte Warbaby, »umso mehr, als sie nicht immer gefährlich aussieht. Sie haben ja schließlich gesehen, was mit dem Hals dieses Mannes geschehen ist …«
»Herr im Himmel«, sagte Rydell, »Sie glauben, dieses kleine Mädchen hat das getan?«
Warbaby nickte traurig. »Schrecklich«, sagte er, »die Menschen machen so schreckliche Sachen …«
Als sie zum Wagen gingen, sah er, dass er genau vor einem Wandgemälde von J. D. Shapely geparkt hatte, der eine Motorradjacke aus schwarzem Leder über dem bloßen Oberkörper trug und von einem halben Dutzend extrem schwul aussehender Engel mit langen blonden Rockerhaaren zum Himmel emporgetragen wurde. Da waren diese blauen, glühenden Spiralen, DNA oder so, die sich aus Shapelys Bauch ringelten und etwas attackierten, was Rydells Ansicht nach ein AIDS-Virus sein sollte, nur dass es eher wie eine rostige, gepanzerte Raumstation mit fiesen Roboterarmen aussah.
Er dachte, wie seltsam es gewesen sein musste, dieser Kerl zu sein. Ungefähr genauso seltsam, wie überhaupt irgendwann irgendwer zu sein. Aber noch viel seltsamer wäre es, jetzt Shapely zu sein, und so tot wie er, und sich dann dieses Wandgemälde ansehen zu müssen.
DOCH ER LEBT JETZT IN UNS, stand unter dem Gemälde in dreißig Zentimeter hohen weißen Lettern, UND DURCH IHN LEBEN WIR.
Und das war buchstäblich wahr. Rydell hatte eine Schutzimpfung bekommen, die es bewies.
18 KONDENSATOR
Chevettes Mutter hatte mal einen Freund namens Oakley gehabt, einen Quartalssäufer, der Holztrucks fuhr, wenn er gerade nicht soff, jedenfalls sagte er das. Er war ein langbeiniger Mann mit blauen Augen, die ein bisschen zu weit auseinanderstanden, und einem Gesicht mit tiefen Furchen auf beiden Wangen. Dadurch sah er wie ein richtiger Cowboy aus, meinte Chevettes Mutter. Chevette fand nur, dass er irgendwie einen gefährlichen Eindruck machte. Was er normalerweise nicht war, außer wenn er ein oder zwei Flaschen Whiskey intus hatte und nicht mehr wusste, wo oder vor wem er gerade rumlallte; besonders dann, wenn er Chevette irrtümlicherweise für ihre Mutter hielt, was ein paarmal vorgekommen war. Sie konnte ihm jedoch immer entwischen, und es hatte ihm hinterher jedes Mal leidgetan; er hatte ihr Ringdings – Schokokuchen mit Cremefüllung – und Sachen aus dem kleinen Supermarkt um die Ecke gekauft. Aber der Grund, warum sie sich jetzt an Oakley erinnerte, als sie durch die Luke auf diesen Kerl mit seiner Kanone hinunterschaute, war, dass er sie einmal in den Wald mitgenommen und mit einer Pistole hatte schießen lassen.
Und der da hatte auch so ein Gesicht wie Oakley, solche Augen und solche Furchen in den Wangen. Wie man sie bekam, wenn man viel lächelte, was er jetzt tat. Aber es war ein Lächeln, bei dem sich garantiert kein Mensch wohlfühlen würde. Gold in den Winkeln.
»Jetzt komm hier runter«, sagte er,
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