Idoru-Trilogie - Gibson, W: Idoru-Trilogie - Virtual Light/Idoru/All Tomorrow´s Parties
Er trennte ihn durch, bevor er sich zusammenziehen konnte, aber diesmal verschwand er einfach mit dem Comic-Knall.
Yamasaki starrte auf die Stelle, wo die Fessel gewesen war.
»Katey, verriegel die Tür!«, brüllte Skinner.
»Was?«
»Sperr die verdammte Luke zu!«
Yamasaki krabbelte auf Händen und Knien über den Boden, ließ die Klappe herunter und verriegelte sie mit einem flachen Ding aus matter Bronze, das einmal zu einem Schiff gehört haben mochte. »Das Mädchen«, sagte er mit einem Blick nach hinten zu Skinner.
»Die kann anklopfen «, sagte Skinner. »Willst du den Idioten mit der Kanone wieder hier drin haben?«
Das wollte Yamasaki nicht. Er schaute zur Luke in der Decke hinauf. Sie stand jetzt offen.
»Geh rauf und schau nach dem Homo.«
»Skinner-san? Verzeihung?«
»Die große Schwuchtel. Der Schwarze da oben.«
Ohne zu verstehen, wovon oder von wem Skinner redete, kletterte Yamasaki die Leiter hinauf. Eine Windbö trieb ihm Regen ins Gesicht, als er den Kopf durch die Öffnung steckte. Er war auf einmal zutiefst überzeugt, hoch oben auf einem alten Schiff zu sein, einem schwarzen, eisernen Schoner, der hilflos in dunkler See trieb, mit zerrissenen Plastiksegeln, einer wahnsinnigen oder toten Mannschaft und Skinner als umnachtetem Kapitän, der aus seiner Kabine unten Befehle heraufbrüllte.
»Niemand hier, Skinner-san!«
Der Regen stürzte in Strömen herab und verbarg die Lichter der Stadt.
Yamasaki zog den Kopf zurück, tastete nach der Klappe und schloss sie über sich. Er schob den Riegel vor und wünschte, er wäre aus stärkerem Material.
Er stieg die Leiter hinunter.
Skinner war auf den Beinen und taumelte zu seinem Bett. »Scheiße«, sagte er, »jemand hat meinen Fernseher kaputt gemacht.« Er stürzte vornüber auf die Matratze.
»Skinner?«
Yamasaki kniete neben dem Bett nieder. Skinners Augen waren geschlossen, sein Atem ging flach und schnell. Seine linke Hand kam hoch, und die gespreizten Finger kratzten unruhig in der verfilzten Matte weißer Haare im offenen Kragen seines abgetragenen Flanellhemds. Yamasaki bemerkte den sauren Gestank von Urin über dem beißenden Geruch des Explosivstoffs, der Loveless’ Kugel herausgeschleudert hatte. Er warf einen Blick auf Skinners Jeans, auf die blaue, vom vielen Tragen ergraute Farbe, die dauerhaft eingegrabenen Knitterfalten und den schwachen, fettigen Glanz, und er sah, dass Skinner sich nassgemacht hatte.
Er stand eine ganze Weile da und wusste nicht, was er tun sollte. Schließlich setzte er sich auf den farbfleckigen Hocker neben dem kleinen Tisch, unter dem er gerade eben noch als Gefangener gehockt hatte. Er fuhr mit den Fingerspitzen
über die Zähne des Sägeblatts. Als er nach unten schaute, sah er eine hübsche rote Kugel. Sie lag auf dem Boden, neben seinem rechten Fuß.
Er hob sie auf. Eine glänzende Murmel aus scharlachrotem Kunststoff, kühl und ein wenig nachgiebig. Eine der Fesseln, entweder seine oder die von Skinner.
Er saß da, beobachtete Skinner und lauschte dem Ächzen der Brücke im Sturm, einer seltsamen Musik, die von den Trossenbündeln ausging. Er wollte das Ohr daran drücken, aber eine Furcht, die er nicht benennen konnte, hielt ihn davon ab.
Skinner wachte einmal auf, oder jedenfalls schien es so; er versuchte, sich aufzusetzen, und rief nach jemandem – nach dem Mädchen, vermutete Yamasaki.
»Sie ist nicht da«, sagte er. Seine Hand lag auf Skinners Schulter. »Erinnern Sie sich nicht?«
»War lange nicht mehr da«, sagte Skinner. »Zwanzig, dreißig Jahre lang. Dieses Miststück. Die Zeit.«
»Skinner?«
»Die Zeit. Das ist das hinterfotzigste Miststück , stimmt’s?« Yamasaki hielt dem alten Mann die rote Kugel vor die Nase. »Schauen Sie, Skinner. Sehen Sie, was ist geworden?«
»’n Superball«, sagte Skinner.
»Skinner-san?«
»Na los, verdammt, Lass ihn springen, Scooter!« Er schloss die Augen. »Aber hoch …!«
20 DIE GROSSE LEERE
»Ich schwör’s bei Gott«, sagte Nigel, »dieses Scheißding hat sich grade bewegt .«
Chevette spürte mit geschlossenen Augen, wie sich der stumpfe Rücken des keramischen Messers in ihr Handgelenk grub. Es gab ein Geräusch, als ob ein Schlauch platzte, den man zu oft geflickt hatte, und dann war ihr Handgelenk frei.
»Shit. Du lieber Himmel …« Seine Hände waren grob und flink. Chevettes Augen öffneten sich, als es ein zweites Mal knallte, und ein rotes, verschwommenes Ding schoss zwischen dem aufgestapelten Schrott hin und
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