Idoru-Trilogie - Gibson, W: Idoru-Trilogie - Virtual Light/Idoru/All Tomorrow´s Parties
berühren;
seine großen Hände hingen über ihr in der Luft. Er hatte Angst, dass sie krank sei, und fürchtete zugleich, dass sie ihm auf seine Arbeiten kotzen könnte, was ihn möglicherweise zwingen würde, sein winziges Nest doch einmal dem noch nie dagewesenen Akt einer gründlichen Reinigung zu unterziehen, statt es bloß aufzuräumen. »Wasser? Willst du Wasser?« Er hielt ihr die alte Kaffeedose hin, in der er heißes Metall ablöschte. Eine ölige Schicht schwamm darauf wie Benzin an einem Kai, und es wäre ihr beinahe erneut hochgekommen. Stattdessen setzte sie sich hin.
Sammy Sal tot, und Skinner vielleicht auch. Er und dieser Student, die beide dort oben mit den Kunststoffwürmern gefesselt waren.
»Chev?« Er hatte die Kaffeedose weggestellt und bot ihr stattdessen eine offene Bierdose an. Sie winkte hustend ab.
Nigel trat von einem Fuß auf den anderen, drehte sich dann um und spähte durch die dreieckige Plexiglasscherbe hinaus, die ihm als einziges Fenster diente. Sie vibrierte im Wind. »Ganz schöner Sturm«, sagte er, als wäre er froh, feststellen zu können, dass sich die Welt draußen überhaupt auf einem erkennbaren Kurs weiterbewegte, wie bedrohlich der auch sein mochte, »und wie das schüttet.«
Als sie von Skinners Behausung und vor der Waffe in der Hand des Killers wegrannte, vor seinen Augen und dem Gold in den Winkeln seines Lächelns, tief gebückt, um trotz ihrer gefesselten Hände und des Etuis mit der Brille von dem Arschloch, das sie hielten, das Gleichgewicht nicht zu verlieren, hatte Chevette gesehen, dass die anderen auch alle rannten, offenbar im Wettlauf mit der einsetzenden Ruhe vor dem Sturm. Der erste Regenguss, der sie traf, war beinahe warm. Skinner würde gewusst haben, dass er kommen würde; er würde das Barometer in dem kitschigen Holzrahmen beobachtet haben, der wie das Steuerrad eines alten Bootes aussah; er kannte sein Wetter, der alte Skinner,
der dort in seiner Schachtel hoch oben auf der Brücke hockte. Vielleicht wussten die anderen ebenfalls Bescheid, aber hier gehörte es zum Stil, abzuwarten und dann loszurennen; hier harrte man wegen eines letzten Verkaufs, eines weiteren Joints oder eines kleinen Geschäfts aus. Die Stunde vor einem Gewitter war gut für so was; die Leute tätigten nervöse Käufe und setzten sich dabei über die Unsicherheit hinweg, mit der sie ansonsten durchaus leben konnten. Ein paar gingen jedoch verloren, wenn das Unwetter heftig genug war, und nicht immer nur die nicht Etablierten, die Neuankömmlinge, die sich mitsamt ihrem zerlumpten Gepäck an irgendeinem freien Platz festbanden, den sie sich in der äußeren Struktur erobert haben mochten; manchmal flog ein ganzer Abschnitt des Flickwerks einfach davon, wenn der Wind ihn richtig erfasste; sie hatte so etwas noch nicht gesehen, aber es gab Geschichten darüber. Nichts hinderte die Neuen daran, zwischen den beiden Ebenen Zuflucht zu suchen, aber sie taten es nur selten.
Sie wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab und nahm das Bier von Nigel entgegen. Sie trank einen Schluck. Es war warm. Sie gab es ihm zurück. Er nahm den Sticker aus dem Mund, hob die Dose hoch, um einen Schluck zu trinken, überlegte es sich anders und stellte sie neben seinen Schweißbrenner.
»Irgendwas stimmt nicht«, sagte er. »Das merke ich doch.«
Sie massierte ihre Handgelenke. Zwei Ringe mit einem Ausschlag bildeten sich dort, wo der Kunststoff sie umklammert hatte. Sie nahm das keramische Messer und klappte es automatisch zu.
»Ja«, sagte sie, »ja. Irgendwas stimmt nicht …«
» Was stimmt denn nicht, Chevette?« Er schüttelte sich die Haare aus den Augen wie ein besorgter Hund. Seine Finger fuhren nervös über das Werkzeug. Seine Hände waren
wie blasse, schmutzige Tiere, die auf ihre stumme, agile Weise fähig waren, Probleme zu lösen, die ihn selbst hoffnungslos überfordert hätten. »Dieser Japsenscheiß ist dir zu Bruch gegangen«, entschied er, »und jetzt bist voll genervt …«
»Nein«, sagte sie, ohne ihm richtig zuzuhören.
»Für ’n Botenrad braucht man Stahl. Gewicht, ’n großen Korb vorne dran. Keine Pappe mit beknacktem Aramidscheiß drumrum, die ungefähr so viel wiegt wie ’n Sandwich. Was ist, wenn du mit ’nem B-bus zusammenstößt? Wenn du dem hinten reinfährst? Du hast mehr M-masse als das Rad, du k-knallst vorn rüber und b-brichst dir … brichst dir den …« Seine Hände verschlangen sich, als er sich den Ablauf des Unfalls, den er vor sich sah,
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