Idoru-Trilogie - Gibson, W: Idoru-Trilogie - Virtual Light/Idoru/All Tomorrow´s Parties
eines Pfostens vorbeizugehen, während sie auf der anderen Seite vorbeiging. »’tschuldigung«, sagte er.
Sie sah ihn nicht an. Aber sie machte auf Rydell einfach nicht den Eindruck, als ob sie einem Kerl ein Rasiermesser an die Kehle setzen und ihm die Zunge auf die harte Tour rausholen würde. Obwohl, sie hatte so ein keramisches
Messer dabeigehabt, als Swobodow sie durchsucht hatte, außerdem ein Taschentelefon und diese verdammte Brille, hinter der alle her waren. Die sah genauso aus wie die von Warbaby und hatte auch das gleiche Etui. Die Russen waren echt happy darüber, und jetzt war sie sicher in der Innentasche von Swobodows kugelsicherer Weste verstaut.
Sie hatte auch nicht die richtige Art von Angst, sagte ihm irgendwas immer wieder. Sie strahlte nicht die ständige Furcht aus, die man spätestens am dritten Tag in diesem Job kennenlernte. Ihre Angst war wie die eines Opfers , obwohl sie Orlowsky gegenüber unumwunden zugegeben hatte, dass sie die Brille geklaut hatte. Sie sagte, sie hätte es letzte Nacht auf einer Party oben in dem Hotel getan. Aber keiner der Russen hatte ein Sterbenswörtchen von einem Mordfall erwähnt, auch nicht von einem Blix oder wie der Name des Opfers gelautet hatte. Nicht mal von Diebstahl. Und das Mädchen hatte davon geredet, dass jemand Sammy getötet hätte, wer immer Sammy sein mochte. Vielleicht war Sammy der Deutsche. Die Russen hatten das jedoch einfach auf sich beruhen lassen und Rydell befohlen, den Mund zu halten, und jetzt bekam sie ebenfalls kein Wort mehr heraus, außer um ihn anzumeckern, wenn er im Gehen einschlief.
Die Brücke erwachte allmählich wieder zum Leben, nachdem das Gewitter vorbei war, aber in dieser Herrgottsfrühe waren noch nicht besonders viele Leute unterwegs, um die Schäden zu sichten. Hier und dort gingen die Lichter wieder an; ein paar Leute waren zu sehen, die Wasser vom Boden und von irgendwelchen Sachen aufwischten, ein paar Betrunkene und dieser Typ, der aussah, als ob er auf Dancer wäre, der wie ein Maschinengewehr vor sich hinbrabbelte und ihnen folgte, bis Swobodow seine H & K zog und herumfuhr und ihm erklärte, er würde ihn zu Katzenfutter verarbeiten, wenn er seinen Dancer-Arsch nicht gleich nach Oakland verfrachten würde, am besten gestern
noch, Miestkärrel , und der Typ gehorchte natürlich, wobei ihm die Augen fast aus dem Kopf quellen wollten, und Orlowsky lachte ihm nach.
Sie kamen an eine Stelle, wo mehr Lichter brannten, ungefähr dort, wo Rydell Chevette Washington zum ersten Mal gesehen hatte. Er schaute nach unten, um zu sehen, wohin er trat, und stellte fest, dass sie schwarze Kampfstiefel trug, genau die gleichen wie er. Brandsohlen aus Lexan.
»He«, sagte er, »stark, die Schuhe.«
Und sie schaute ihn bloß an, als ob er nicht ganz dicht wäre, und er sah, dass ihr Tränen übers Gesicht liefen.
Und Swobodow rammte die Mündung seiner H & K hart in Rydells Kiefergelenk, direkt vor seinem rechten Ohr, und sagte: » Mist kerl. Du redest nicht mit ihr.«
Rydell sah Swobodow über den Lauf der Waffe hinweg von der Seite an. Er wartete, bis er es für sicher hielt, okay zu sagen.
Danach versuchte er nicht mehr, mit ihr zu reden oder sie auch nur anzusehen. Als er damit davonzukommen glaubte, sah er Swobodow an. Wenn sie ihm die Handschelle abnahmen, würde er diesen Hurensohn vielleicht auf die Bretter schicken.
Kurz nachdem der Russe die Kanone von seinem Ohr weggenommen hatte, war Rydell hinter ihnen jedoch etwas aufgefallen. Nichts, was sich ihm besonders einprägte, aber später ging ihm ein Licht auf: so ein großer, langhaariger Bär, der von dem kleinen Eingang aus, der keine dreißig Zentimeter breit zu sein schien, zu ihnen herüberblinzelte, als sie dort im Licht standen.
Im Gegensatz zu vielen anderen Leuten hatte Rydell keine besonderen Vorurteile gegen Schwarze oder Immigranten oder so. Tatsächlich hatte das zu den Dingen gehört, die ihm auf die Akademie verholfen hatten, obwohl sein Abschlusszeugnis von der Highschool nicht gerade sensationell ausgefallen war. Sie hatten all diese Tests mit
ihm gemacht und waren zu dem Ergebnis gekommen, dass er kein Rassist sei. Er war auch keiner, aber das lag nicht daran, dass er besonders viel darüber nachgedacht hätte. Er verstand bloß nicht, wozu es gut sein sollte. Es brachte bloß eine Menge Ärger, wenn man einer war, und wozu das Ganze? Kein Mensch würde heimgehen und dort leben, wo er früher gelebt hatte, nicht wahr, und wenn doch
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