Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Idoru

Idoru

Titel: Idoru Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
Vom Netzwerk:
Land. Sie haben das Bankwesen erfunden. Das ist der Markusdom. Es gibt ein Modul, in dem man sich ansehen kann, was sie Ostern machen, wenn der Patriarch die ganzen Knochen und Sachen rausbringt, die in Gold gefaßt sind. So Teile von Heiligen.«
    Zona Rosa bekreuzigte sich. »Wie in Mexiko … ist das da, wo das Wasser bis an die Türschwellen steht und die Straßen -253—
    Wasser sind?«
    »Ich glaube, zum großen Teil ist es jetzt unter Wasser«, sagte Chia.
    »Warum ist es dunkel?«
    »Hab ich so eingestellt …« Chia wandte den Blick ab und spähte suchend ins Dunkel unter Bogengängen. »Die Ummauerte Stadt, Zona, was ist das?«
    »Angeblich war’s am Anfang eine gemeinsame Killerdatei.
    Weißt du, was eine Killerdatei ist?«
    »Nein.«
    »Ist ein alter Ausdruck. Ein Mittel, um zu vermeiden, daß man irgendwelche Botschaften kriegt. Wenn man eine Killerdatei dranhängen hatte, war es so, als ob diese Botschaften nie existiert hätten. Sie sind einfach nicht angekommen. Das war damals, als das Netz noch neu war, verstehst du?«
    Chia wußte, daß es zum Zeitpunkt der Geburt ihrer Mutter überhaupt kein Netz gegeben hatte, oder fast keins, aber, wie ihre Lehrer in der Schule gern betonten, das war kaum vorstellbar. »Wie konnte da eine Stadt draus werden? Und warum ist alles so eng zusammengequetscht?«
    »Irgendwer hatte die Idee, die Killerdatei umzukrempeln. In Wirklichkeit ist es nicht so gewesen, weißt du, aber so wird die Geschichte nun mal erzählt: daß die Leute, die Hak Nam gegründet haben, sauer waren, weil das Netz sehr frei gewesen war, man konnte tun, was man wollte, aber dann hatten die Regierungen und die Unternehmen andere Vorstellungen davon, was man tun durfte und was nicht. Also haben diese Leute rausgekriegt, wie man was aufribbeln konnte. Einen kleinen Ort, ein Stück, wie Stoff. Sie haben eine Art Killerdatei aus allem gemacht, aus allem, was sie nicht mochten, und das haben sie umgekrempelt«, Zonas Hände bewegten sich wie die einer Geisterbeschwörerin, »und zur andern Seite -254—
    durchgedrückt …«
    »Zur ändern Seite wovon?«
    »So haben sie’s doch gar nicht gemacht«, sagte Zona ungeduldig, »das ist nur die Geschichte. Wie sie’s gemacht haben, weiß ich nicht. Aber das ist die Geschichte, wie sie sie erzählen. Sie sind da hingegangen, um den Gesetzen zu entkommen. Um keine Gesetze zu haben, wie damals, als das Netz neu war.«
    »Aber warum haben sie ihr dieses Aussehen gegeben?«
    »Das weiß ich«, sagte Zona. »Die Frau, dir mir geholfen hat, mein Land aufzubauen, die hat’s mir erzählt. Da gab’s einen Ort in der Nähe von einem Flughafen, Kaulun, als Hongkong noch nicht chinesisch war, aber sie hatten vor langer Zeit einen Fehler gemacht, und dieser Ort – sehr klein, viele Menschen –, der gehörte noch zu China. Also gab’s dort kein Gesetz. Ein gesetzloser Ort. Immer mehr Menschen kamen hin; sie haben immer höher gebaut. Keine Vorschriften, einfach nur Bauen, nur Leute, die da wohnten. Die Polizei ist da nicht hin. Drogen und Huren und Spiele. Aber auch Menschen, die da lebten.
    Fabriken, Restaurants. Eine Stadt. Keine Gesetze.«
    »Gibt’s die noch?«
    »Nein«, sagte Zona, »sie haben sie abgerissen, bevor alles wieder chinesisch wurde. Haben alles zubetoniert und einen Parkplatz draus gemacht. Aber diese Leute, die angeblich ein Loch ins Netz gemacht hatten, die haben die Daten gefunden.
    Ihre Geschichte. Karten. Bilder. Sie haben sie wiederaufgebaut.«
    »Weshalb?«
    »Frag mich nicht. Frag sie. Die sind alle verrückt.« Zona ließ den Blick über die Piazza schweifen. »Mir wird’s hier irgendwie kalt …« Chia erwog, die Sonne aufgehen zu lassen, aber dann zeigte Zona in eine Richtung. »Wer ist das?«
    -255—
    Chia sah, wie ihr Music Master oder etwas, was so aussah, aus dem Dunkel der steinernen Bogengänge, wo die Cafés waren, auf sie zugeschlendert kam. Ein wallender dunkler Herrenmantel gab den Blick auf ein Futter in der Farbe polierten Bleis frei.
    »Ich hab einen Software-Agenten, der so aussieht«, sagte Chia, »aber der sollte eigentlich nicht da sein, solange ich keine Brücke überquere. Und als ich vorhin hier war, konnte ich ihn nicht finden.«
    »Das ist nicht die Person, die du gesehen hast?«
    »Nein«, sagte Chia.
    Eine Aura baute sich um Zona herum auf, und Zona wuchs, während die Auflösung der stacheligen Lichtwolke höher wurde. Sich verlagernde, einander überlappende Ebenen, wie Gespenster aus zerbrochenem Glas.

Weitere Kostenlose Bücher