Idoru
Schillernde Insekten, die darin herumwirbelten.
Während die Gestalt in dem Herrenmantel über das Steinmosaik der Piazza auf sie zukam, löste sich der Schnee hinter ihr auf; sie hinterließ Fußabdrücke.
Zonas Aura wurde zusehends bedrohlicher; eine Gewitterwolke aus flackernder Dunkelheit bildete sich über den geborstenen Lichtflächen. Ein Geräusch ertönte, das Chia an eine dieser mit blauem Licht lockenden elektrischen Fliegenfallen erinnerte, in der gerade ein besonders saftiges Exemplar britzelnd zu Asche verbrannt wurde, und dann durchschnitten ganz in der Nähe riesige Schwingen die Luft: Zonas kolumbianische Kondore, Dinge aus den Datenhäfen.
Und weg waren sie. Zona spie einen spanischen Wortstrom aus, der das Übersetzungsprogramm überforderte, einen langen, wohltönenden Fluch.
Vor Chias Augen verschwanden die Häuserfassaden um den riesigen Platz hinter der herannahenden Gestalt ihres Music Masters komplett hinter Schneevorhängen.
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Zonas Messer schien jetzt groß wie eine Kettensäge zu sein.
Die gezahnte Klinge kräuselte sich, als wäre sie lebendig. Die goldenen Drachen vom Plastikgriff jagten ihre Doppelschwänze mit den feurigen Mähnen durch winzige Wolken chinesischer Verzierungen um ihre braune Faust. »Dir werd ich’s zeigen«, sagte Zona, und ließ sich jedes Wort auf der Zunge zergehen.
Chia sah, wie die Welt aus Schnee, die ihr Venedig verschluckt hatte, sich abrupt zusammenzog und an der Linie der Fußabdrücke entlang schrumpfte, und die Züge des Music Masters verwandelten sich in die von Rei Toei, der Idoru.
»Das hast du schon getan«, sagte die Idoru.
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33 Topologie
A rleigh wartete am Fahrstuhl im fünften und untersten Geschoß der Tiefgarage des Hotels auf ihn. Sie hatte sich wieder die Arbeitskluft angezogen, in der er sie zum ersten Mal gesehen hatte. Trotz des Mikropor-Pflasters auf ihrer geschwollenen Lippe wirkte sie in ihren Jeans und der Bomberjacke aus Nylon hellwach und kompetent, zwei Dinge, die Laney nie wieder zu sein glaubte.
»Sie sehen ja fürchterlich aus«, sagte sie.
Die Decke war sehr niedrig und von einem graubraunen, wolligen, flockigen Zeug bedeckt, das die Geräusche dämpfte.
Daran waren biolumineszente Kabelstränge festgetackert, und die stehende Luft war vom zuckrigen Geruch der Auspuffgase des Benzin-Alkohol-Gemischs geschwängert. Kleine japanische Wagen standen in makellos sauberen Reihen und glitzerten wie bunte, feuchte Bonbons. »Yamasaki fand anscheinend, es sei dringend«, sagte Laney.
»Wenn Sie’s jetzt nicht machen«, sagte sie, »wissen wir nicht, wie lange es dauert, bis wir alles wieder so hinkriegen.«
»Na, dann machen wir’s halt.«
»Sie sehen aus, als könnten Sie nicht mal laufen.«
Er setzte sich schwankend in Bewegung, wie um es ihr zu zeigen. »Wo ist Rez?«
»Blackwell hat ihn in sein Hotel zurückgebracht. Das Suchteam hat nichts gefunden. Hier lang.« Sie führte ihn an einer Reihe aseptisch sauberer Kühlergrills und Stoßstangen vorbei. Er sah den grünen Van, der mit der Schnauze zur Wand geparkt war. Die Heckklappe und die Türen standen offen. Er war mit orangefarbenen Kunststoffabsperrungen eingezäunt -258—
und von schwarzen Modulen umgeben. Shannon, der rothaarige Techniker, fummelte an einem schwarzroten Würfel herum, der mitten auf einem Klapptisch aus Plastik stand.
»Was ist das?« fragte Laney.
»Espresso«, sagte er mit der Hand im Gehäuse, »aber ich glaube, die Dichtung hat sich verzogen.«
»Setzen Sie sich dahin, Laney«, sagte Arleigh und zeigte auf den Beifahrersitz des Vans. »Der läßt sich zurückklappen.«
Laney kletterte auf den Sitz. »Lieber nicht«, sagte er.
»Könnte sein, daß Sie mich dann nicht mehr wachkriegen.«
Yamasaki tauchte über Arleighs Schulter auf und zwinkerte.
»Sie werden wie zuvor Zugriff auf die Lo/Rez-Daten haben, Laney-san, aber gleichzeitig auch auf Fan-Aktivitäts-Basis.
Tiefenschärfe. Dimensionalität. Fan-Aktivitäts-Daten liefern den Grad an Personalisierung, den Sie benötigen. Parallaxe, ja?«
Arleigh gab Laney den Datenhelm. »Schauen Sie mal rein«, sagte sie. »Wenn’s nicht hinhaut, zur Hölle damit.« Yamasaki zuckte zusammen. »So oder so, hinterher holen wir Ihnen den Hotelarzt.«
Laney lehnte den Nacken an die Kopfstütze des Sitzes und setzte den Datenhelm auf.
Nichts. Er schloß die Augen. Hörte, wie der Datenhelm eingeschaltet wurde. Machte die Augen auf und sah die gleichen Datenfassaden, die er schon
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