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Idylle der Hyänen

Idylle der Hyänen

Titel: Idylle der Hyänen
Autoren: Friedrich Ani
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Nummer. »Wie weit bist du mit dem Korrigieren, Valerie? Sehr gut!«
    Fischer erhob sich ungern; der alte englische Stuhl mit der hohen Lehne löste bei jedem Besucher den Wunsch nach stundenlangem Verweilen aus.
    Im Vorbeigehen klopfte Weningstedt seinem Kollegen auf die Schulter. »Und nun bist du dran. Was ist dein Eindruck?«
    »Er wirkt sehr kontrolliert.«
    »Nicht mehr lange.«
    Sie gingen die Treppe hinunter.
    »Er war irritiert, weil seine Frau nicht zu Hause ist. Das hat ihn offensichtlich mehr beschäftigt als alles andere.«
    »Sie ist wohl zum Einkaufen in die Innenstadt gefahren. Esther und Micha warten vor dem Haus auf sie. In einer Stunde bräuchte ich einen Zwischenbericht von dir. Um vierzehn Uhr findet die nächste Pressekonferenz statt. Ich habe Linhard schon informiert, er ist begeistert, daß wir innerhalb von vier Tagen den Fall mehr oder weniger abgeschlossen haben. Natürlich hatten wir auch Glück, weil das Mädchen unerwartet zurückgekommen ist.«
    »Das ist kein Glück«, sagte Fischer vor der geschlossenen Tür im zweiten Stock. Gegenüber nahm Valerie Roland die Ausdrucke der Vernehmung von Franz Wohlfahrt aus dem Drucker, siebenundvierzig Seiten. »Daß Badura das Mädchen freiwillig zurückgebracht hat und sie unversehrt war, heißt, wir wissen nichts über ihn und seine Motive. Er tötet eine Frau, versteckt die Leiche in einem Schrank, entführt die Tochter und unternimmt nichts, um unerkannt zu bleiben. Er ist der Täter, wir haben alle gerichtsverwertbaren Spuren. Worauf will er mit seinen Lügen hinaus?«
    »Du kennst diese Sorte Täter.« Weningstedt trat einen Schritt zur Seite, um Valerie mit ihrem Laptop vorbeizulassen. Liz kam die Treppe herunter. »Sie leben in ihrer eigenen Welt und sind überzeugt, sie wären dort geschützt.«
    Fischer öffnete die Tür.
    »Viel Glück«, sagte Liz.
    Fischer lächelte. »Danke fürs Warten«, sagte er zu den beiden jungen Streifenpolizisten, die Badura bewacht hatten. »Sie können ihm die Fessel abnehmen.«
    Nachdem sie gegangen waren und Valerie sich an ihren Platz gesetzt hatte, bat Fischer Badura, sich ebenfalls zu setzen.
    »Vorher müssen Sie das Kruzifix abnehmen!«
    »Nein«, sagte Fischer. Er wollte sehen, wie der andere reagierte.
    »Nehmen Sie das Ding ab!«
    »Haben Sie Angst vor dem Gekreuzigten?« Badura senkte den Kopf. Dann setzte er sich, streckte die Arme, behielt sie waagrecht in der Luft, ruckte mit dem Stuhl und ließ die Hände auf den Holztisch fallen.
    »Verdammter Selbstmörder!« sagte er laut und spitzte den Mund, als wolle er ausspucken.
    Polonius Fischer legte das Kruzifix auf das Fensterbrett und setzte sich. Er wiederholte die Erklärung, mit der er Badura vor dem Ost-West-Hotel belehrt hatte, und nannte fürs Protokoll den Tag und die Uhrzeit: Mittwoch, erster September, 12.15 Uhr.
    Nach einem Schweigen sagte Fischer: »Haben Sie Nele Schubart getötet?« Badura brüllte: »Nein!«
    Er keuchte, zog den Kragen seines weißen Hemdes hoch, klopfte mit der rechten Faust dreimal auf den Tisch. »Ich hab sie nicht getötet! Ich hab sie nicht getötet! Ich hab sie nicht getötet!«
    »Ihre Fingerabdrücke sind auf dem Klappstuhl, auf dem Frau Schubart stehen mußte, Ihre Fingerabdrücke sind an mehreren Stellen in der Wohnung Ihres Freundes Wohlfahrt, Ihre Fingerabdrücke sind in der Tiefgarage, wo Sie die Leiche abgelegt haben, Ihre Fingerabdrücke sind in der Wohnung von Frau Schubart. Bestreiten Sie, Nele Schubart am vergangenen Freitag im Hochhaus an der Heiglhofstraße getroffen zu haben?«
    »Ich bestreite es nicht! Sie wissen ja gar nicht, was passiert ist! Sie sitzen hier an sicherer Stelle und reden mit mir, als wüßten Sie was. Sie wissen nichts! In der Zeitung stand, Sie sind ein ehemaliger Mönch. Das ist großartig! Das ist ein Glücksfall! Dann sind Sie prädestiniert. Dann haben Sie gar keine Zugangsschwierigkeiten zu den Ereignissen. Oder doch? Sie sind ein Deserteur! Weggelaufen sind Sie! Das tun so viele. Alle wollen weglaufen, alle wollen sich aus der Verantwortung stehlen. So ist unsere Gesellschaft, so ist unsere Zeit. Sie fragen mich, ob ich Frau Schubart getroffen habe. Bestreite ich das? Ich habe sie getroffen, und nicht nur am vergangenen Freitag, aber das spielt keine Rolle. Oder? Alles, was Sie interessiert, ist: Hat der Mann die Tat begangen? Ja! Ja, ich habe die Tat begangen. Ich habe mich verabredet. Hallo, ich bin’s, ich hab ein neues Nest für uns, nicht weit von deiner
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