Idylle der Hyänen
Wohnung. Ist das gut? Und glaubhaft? Früher trafen wir uns in einem Hotel, in einer Absteige, das wollte ich diesmal nicht, diesmal ging es um Wichtigeres als das dumme Körperliche. Diesmal ging es um die kleine Katinka. Ich hab sie befreit aus dem Kerker. Aus der Dunkelheit. Aus ihrem erloschenen Leben. Sieben Jahre alt! Das Kind ist sieben Jahre alt und erlischt! Das lassen Sie zu! Sie wissen nicht einmal was davon. Morde, Verbrechen, daran arbeiten Sie sich ab und sehen nichts. Morde sind praktisch, Sie betrachten die Leiche, Sie untersuchen die Leiche, Sie sammeln Spuren und schalten Ihren Computer an und fragen Leute aus und erfahren nichts. Und drei Wochen später haben Sie Ihren Mörder, er kommt vor Gericht und wird verurteilt, weggesperrt, sehr schön, und der nächste wartet schon. Machen Sie weiter! Sehr schön. Wir zahlen unsere Steuern, damit Sie Ihre Arbeit tun können. Aber was tun Sie wirklich? Darf ich Ihnen das sagen, Ihnen, als ehemaligem Mönch, und ich sag es Ihnen, obwohl ich Sie verachte, weil Sie weggelaufen sind und sich vor der Verantwortung gedrückt haben, ich sag Ihnen, was Sie tun: Sie wischen uns die Augen aus! Damit wir denken, wie sauber und gesittet die Welt aussieht, damit wir beruhigt sind, damit wir uns einbilden, daß wir immer so weitermachen können, bis in alle Ewigkeit. Einen Mord aufklären! Haben Sie den Mord an der kleinen Katinka aufgeklärt? Haben Sie mal geklingelt an der Tür und sich Zugang verschafft? Haben Sie das Verbrechen an dem Mädchen Katinka in Ihrer Kartei, in Ihrem Computer, waren Sie am Tatort? Sie waren nicht da. Das Mädchen ist ermordet worden, und Sie waren nirgends. Wo sind Sie denn? Hier sind Sie! In diesem Raum, in diesem wohlgeordneten Büro, das Ihnen der Staat beheizt. Kann er machen. Und Sie wagen es, ein Kruzifix an die Wand zu hängen! Begreifen Sie nicht, was Sie da tun? Sie preisen einen Selbstmörder! Sie preisen den Selbstmord! Begreifen Sie das? Nein. Weg damit. Sie sind ein elender Deserteur, solche wie Sie sind schuld, daß unsere Welt im Innern verrottet. Aber das Mädchen. Das Mädchen Katinka. Sie wollte sterben. Wissen Sie nicht. Interessiert Sie nicht. Was wollen Sie eigentlich von mir? Ich hab die Frau nicht ermordet. Die Frau hat ihre Tochter ermordet. Sie hat sie ausgesetzt in der Finsternis, und sie ist fast dran krepiert. Sie wollte sterben. Sie wollte sich von der Brücke stürzen, das hat sie mir anvertraut. Sieben Jahre alt und solche Gedanken. Tun Sie da was? Handeln Sie da und verschaffen sich Zugang? Die wahren Morde, die klären Sie niemals auf, und warum? Weil Sie sie nicht wahrnehmen! Weil die, die ermordet werden, weiterleben, und Sie denken, sie leben. Aber sie leben nicht! Sie vegetieren! Sie schleppen bloß ihre Haut mit sich rum, und innen ist alles tot und getötet! Vielleicht verstehen Sie sogar, was ich meine. Aber sicher bin ich mir nicht. Danke, daß Sie das Kruzifix abgenommen haben. Danke. Danke. Leben Ihre Eltern noch? Meine nicht mehr. Mein Vater wurde Opfer eines tragischen Unfalls, meine Mutter starb an einer Krankheit, an welcher, das spielt keine Rolle. Mein Vater war eigentlich Italiener, stellen Sie sich das vor! Sein Vater war Italiener, seine Mutter war halb deutsch, halb italienisch, gemischt. Und? Mein Vater hat versäumt, mir seine Muttersprache beizubringen, stellen Sie sich das vor! Er sprach nicht Italienisch mit mir, oder ich weiß nicht. Jetzt denk ich gerade, kann sein, seine Fäuste sprachen Italienisch, und ich hab sie bloß nicht verstanden. Wenn er sprach, dann fäustlings. Einmal warf er mich aus dem Fenster, war nur der erste Stock, ich platschte auf den Asphalt, Bein hin, Arm hin, Kopf noch ganz. Wichtig. Wissen Sie ja. Sehr wichtig! Der Mörder sollte nach Möglichkeit einen klaren Kopf haben, das vereinfacht Ihre Arbeit. Und die Arbeit des Richters. Meine Jugend verbrachte ich übrigens in einem Gulag.«
»Ihre Kindheit interessiert mich nicht«, sagte Fischer ohne Unterton in der Stimme, ohne Betonung, ohne sich zu bewegen.
In der kurzen Pause, die entstand, schüttelte Valerie ihre Hände aus.
»Meine Kindheit interessiert Sie nicht?« Badura ballte wieder die Fäuste und klopfte auf den Tisch, nicht laut, jedesmal mit einem mickrigen Grinsen. »Gut so! Scheißkindheit! Danke für Ihre Ehrlichkeit. Die Leute machen sich heutzutage so wichtig mit ihrer Kindheit, sie versuchen damit durchzukommen, oder? Wahrscheinlich sind Sie ein Kindheitsexperte. So ein Mörder, der
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