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Idylle der Hyänen

Idylle der Hyänen

Titel: Idylle der Hyänen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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bildet sich doch was ein auf seine mißratene Kindheit, auf seinen Vater, der ihn aus dem Fenster geschmissen hat, auf seine Mutter, die ihn in einen Gulag gesperrt hat, bis er verreckt ist, aber so, daß niemand was merkt, hat weitergetan, ist in der Schule gewesen, hat sich zusammengerissen. Danke für das offene Wort! Schaufeln wir unserer Kindheit ein Grab. Als ich ein Kind war, dachte ich, Eltern wären Laternenanzünder, die machen Lichter an in der Finsternis, und sie achten drauf, daß, wenn eins ausgeht, gleich ein neues anderswo angeht. So dumm bin ich gewesen! So dumm. Eltern sind keine Laternenanzünder, die allerwenigsten bloß. Frau Nele Schubart ist keine Laternenanzünderin, sie ist eine Laternenkaputtmacherin. Ja, das können Sie nicht beweisen, aber ich. Und da war das Mädchen, und ich hab mit ihr auf dem Spielplatz gespielt, und sie hat mir Sachen erzählt, und ich hab ihr Sachen erzählt, und dann haben wir uns gegenseitig versprochen, daß niemand was davon erfährt, nie, nie, niemand, nie! Und ich hab geschworen, daß ich sie hol und mitnehm, und das hab ich getan und mehr nicht. Sie klagen mich wegen Entführung an! Sind Sie dumm? Ich hab das Mädchen nicht entführt, ich bin mit ihr ans Meer gefahren, weil das ihr Glückswunsch war in der Finsternis, Sie feiger Depp! Sie laufen aus dem Kloster weg und klagen mich an, weil ich nicht weggelaufen bin! Schämen Sie sich im Keller! Leben Ihre Eltern noch? Gehen Sie hin, und schämen Sie sich vor ihnen! Aber so funktioniert Ihre Gerechtigkeit: Das Mädchen war weg, und ich hab sie genommen, und das ist strafbar. Wir waren in einer Pension und haben jeden Morgen aufs Meer gesehen, und sie hat endlich keine Angst mehr gehabt, keine Angst, keine Angst. Was wissen Sie von der Angst eines Kindes? Haben Sie ein Kind? Garantiert nicht! Ich will die Antwort gar nicht wissen, ich kenn sie schon. Sie klagen mich an. Frau Nele Schubart hat das Kind in den Schrank gesperrt. Ein Kind in einen Schrank gesperrt! Sperren Sie ein Kind in den Schrank? Wer sperrt ein Kind in den Schrank? Hat Frau Schubart getan. Und den Schlüssel abgezogen. Und ist aus dem Haus und ist fünf Stunden später wiedergekommen. Wissen Sie, was geschieht, wenn Sie ein Kind von vier oder fünf oder sechs oder sieben Jahren in einen Schrank sperren? Wissen Sie, was da geschieht? Nein, Sie Depp! Aber ich: Das Kind kommt nie mehr da raus! Nie mehr. Und wenn Sie es nach fünf Stunden rauslassen, kommt es trotzdem nicht mehr raus, Sie Depp!
    Das Kind bleibt dann im Schrank, es will nicht mehr raus, weil es weiß, es kommt zurück, lieber will es in der Finsternis bleiben und sterben und sich auflösen in der Finsternis. Und die Frau Nele Schubart hat sich mir hingegeben und das Mädchen derweil in den Schrank gesperrt oder nur in die Wohnung. Dann konnte sie wenigstens rumlaufen. Sie war ja schon so klein geworden, haben Sie das nicht bemerkt? So klein und schattig! Und du sitzt hier. Und du. Mein Vater ist einem Unglück zum Opfer gefallen. Oh. Er ist erschlagen worden. Mit einem Beil. Das lag da rum. Ein Schlag. Ich war acht. Und war Zeuge. Das hat Ihr Kollege damals nie erfahren. Das hat den doch nicht interessiert! Das haben wir doch schon geklärt, was interessant ist für Sie und was nicht. Der Täter ist betrunken gewesen, mein italienischer Vater auch, sie stritten ums Rechthaben, und mein Vater hatte das Beil vorher in der Hand. Erleichterung bei Ihrem Kollegen. Ich hockte hinter dem Fenster im ersten Stock und sah zu, ich sah das Unglück mit eigenen Augen, wie es geheißen hätte, wenn mich jemand bemerkt hätte. Und ich hab auch den letzten Satz gehört, den der Mohrhold Andreas zu meinem Vater gesagt hat. Der Satz war: Du wirst nie wieder deinem Sohn was antun! Dann hat er zugeschlagen und getroffen. Den Satz hab ich gut verstanden, weil das Fenster gekippt war, es war Sommer und niemand sonst im Hof unserer Schreinerei. Mittags haben sie Wein getrunken.
    Der Andreas war aus dem Norden, er hat seinen zwei Töchtern seine Muttersprache beigebracht. Spielt keine Rolle. Darf ich Ihnen was verraten, Kommissar? Vielleicht hab ich mir den letzten Satz nur eingebildet als Kind. Acht Jahre alt! Kann man nicht wissen. Für den Kommissar gab es keine Zeugen. So funktioniert Wirklichkeit, Sie wissen nichts und klagen an!«
    »Haben Sie die Leiche von Nele Schubart deshalb im Schrank abgelegt, weil sie ihre Tochter in den Schrank gesperrt hatte?« fragte Fischer.
    »Das hat doch damit nichts

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