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Idylle der Hyänen

Idylle der Hyänen

Titel: Idylle der Hyänen
Autoren: Friedrich Ani
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Mitleid hüten, den er manchmal – entgegen aller Vernunft, seiner Erfahrung zum Trotz und mit einer fast hämischen Theatralik – hervorkramte und der ihm schon während seiner Jahre in der Zelle niemals Linderung oder Geborgenheit verschafft, sondern ihn mit Selbsthaß erfüllt hatte.
    Mitleid war für Fischer ein unwürdiges Gefühl. Und doch.
    Und doch.
    Der Herr aber schickte einen großen Fisch, der Jona verschlang. Jona war drei Tage und drei Nächte im Bauch des Fisches, und er betete im Bauch des Fisches zum Herrn, seinem Gott: In meiner Not rief ich zum Herrn, und er erhörte mich. Aus der Tiefe der Unterwelt schrie ich um Hilfe, und du hörtest mein Rufen.
    Seine Blicke schweiften zum Bahndamm ab und blieben für Sekunden in den mit farbigen Bildern und aufreizenden Schlagzeilen dekorierten Schaufenstern eines Verlagshauses hängen. Er hörte die Stimme von Sebastian Flies widerhallen; die Worte feierten das heroische Verlangen einer Frau, die außerhalb der Umarmung Gottes ihren Atem nicht länger verschleudern wollte. Das konnte die Wahrheit gewesen sein. Und die Nonne hätte ewiges Mitleid verdient gehabt.
    Und Sebastian Flies?
    Sebastian Flies hatte vielleicht getötet, weil er sein Leben lang einen Mörder in sich beherbergt und, unbewußt und angstvoll, auf eine einmalige Gelegenheit zum Morden gewartet hatte.
    Und Ines Gebirg? Sie hatte vielleicht ihr Leben lang eine Selbstmörderin in sich beherbergt und, bewußt und furchtlos, auf den einzigen Moment gehofft, in dem sich ihr Schicksal erfüllen würde.
    Die Beweise, die sie zusammengetragen hatten – sie, die wachsamen, unbestechlichen Apostel –, reichten nicht fürs Gegenteil, die Beweise reichten für das, was sein mußte: eine Anklageerhebung nach den Paragraphen des Strafgesetzbuches. Und Fischer fühlte den Saum des Mantels – es war ein samtener, ultramarinblau schimmernder schwerer Mantel – und spürte ein Frösteln; er wandte den Kopf und sah in die Gesichter derer, die sich ihm jahrzehntelang anvertraut hatten. In ihren Augen war ein gottloses Schauen, denn sie waren unrettbar aus dem Glauben gestürzt. Und doch.
    Und doch.
    Ich dachte: Ich bin aus deiner Nähe verstoßen. Wie kann ich deinen Heiligen Tempel wieder erblicken? Das Wasser reichte mir bis an die Kehle, die Urflut umschloß mich. Schilfgras umschlang meinen Kopf. Bis zu den Wurzeln der Berge, tief in die Erde kam ich hinab, ihre Riegel schlossen mich ein für immer. Doch du holtest mich lebendig aus dem Grab herauf, Herr, mein Gott.
    Da schlug in der Nähe eine Kirchturmuhr, oder er stolperte über eine Steinkante, oder sein Herz murrte so laut, daß er erschrak und begriff, wo er sich eigentlich befand und wie sein wirkliches Gehen funktionierte.
    Oder jemand rief nach ihm.
    »Wir sind hier! Hier in der Einfahrt!«
    Aus einem Hinterhof auf der anderen Seite der Gollierstraße winkte Liz ihm zu. In Begleitung von Emanuel Feldkirch redete sie auf einen Mann ein, der mit ausgebreiteten Armen gestikulierte.
    »Das ist Herr Bockdorf«, sagte Liz zu Fischer, »ihm gehört die Pension Ludwig. Der Passat soll auf diesem Parkplatz gestanden haben.«
    Zwischen dem Haus, in dem sich Wohnungen, die Pension und im Parterre eine Schnellbäckerei befanden, und einer unverputzten Steinmauer zum Nachbargrundstück erstreckte sich ein schmaler, geteerter Weg mit Markierungen für drei Parkplätze; auf einem stand ein verbeulter Fiat, die anderen beiden waren unbesetzt.
    »Ein Gast ist gekommen und hat gemeint, da steht ein verdächtiges Auto.« Bockdorf hatte sich an Fischer gewandt, der mindestens zwei Köpfe größer war als er, und schwang die Arme. »Sag ich: Wieso verdächtig? Ja, sagt der Gast, hat er grade im Radio gehört, und so weiter. Wo steht die Kiste? sag ich. Sind wir raus, die Kiste war weg. Und jetzt sagt Ihre Kollegin, Sie stellen mir gleich die Bude auf den Kopf, Fingerabdrücke und so weiter, muß das sein? Ich bin eine kleine Pension, ich hab Gäste, die sind oft gern ungestört, und wenn jetzt die Polizei überall ist…«
    »Vorerst nur im Zimmer des besagten Gastes«, erklärte Feldkirch.
    »Den anderen Gast hab ich schon angerufen«, sagte Liz zu Fischer. »Er ist sich ganz sicher mit dem weißen Passat. Die Nummer weiß er nicht, nur daß es eine hiesige ist.«
    Fischer blickte an der Fassade hinauf. Im zweiten Stock waren die Fenster weit geöffnet. »Was wolltet ihr mir so dringend zeigen?«
    »Komm mit!« Liz griff nach seiner Hand, ließ sie aber nach
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