Idyllen in der Halbnatur (German Edition)
Flaschen, Gläser) gilt oder der Darstellung der Aneignung von Wirklichkeit (die Dinge überleben ihre Betrachter). Zurück bleibt eine ungeklärte Dynamik, eine Fremdheit zwischen den Objekten, der Zeit und uns, den Betrachtern. Künstler sein heißt, in unwegsamem Gelände unterwegs sein und dabei auf eine Zuspitzung zugehen. Die Zuspitzung bei Morandi ist das endgültige Nicht-aufgenommen-Werden in den Dingen bei gleichzeitig größter Nähe zu den Dingen. Dargestellt wird die Kluft durch einen symbolischen Austausch: Ein paar ausdrucksstarke Nebensachen (Kannen, Flaschen, Gläser) drücken die schweigende Hauptsache aus (das Draußenbleiben der Betrachter).
An der Unaufhebbarkeit der Differenz (der Nach-innen-Verlagerung von Außenbildern) hat sich Morandi beinahe ein Leben lang abgearbeitet. Aus jedem Stilleben wird eine Nachhilfe für die mangelnde Kraft unseres Sehens. Natürlich bleiben auch die Stilleben selbst unvollendet. Deswegen müssen sie immer neu gemalt werden: mit jeweils nur geringen (äußerlichen) Veränderungen. Aus der scheiternden Fixierung des endgültigen Stillebens gehen die Bewegungen der Individuation und der Beharrung hervor: Die Wiederholung macht aus der Person des Malers ein Ich, das auf seiner einmaligen und außerordentlichen Subjektivierung beharrt. Mir fällt ein, dass auch Edward Hopper, ein anderer Stilleben-Maler, um der Stille willen, die die (innere) Gestalt seines Lebens war, ein äußerlich regloses Leben geführt hat; auch die Authentizität seiner Bilder liegt im Stau der immer wieder gleichen Anblicke.
Denn jedes Stilleben erinnert uns daran, wie schwierig (und oft unmöglich) es ist, ein einzelner zu sein, ein einzelner im Leben und ein einzelner in der Kunst. Wenn es einem Künstler gelungen ist, ein Solitär zu werden, dann liegt der Grund dafür immer darin, dass er mit den Anblicken seiner Umgebung und den Anblicken seiner Innenwelt eine haltbare Koexistenz hat erfinden können. Es hat mich immer beeindruckt, dass Morandi seine Heimatstadt Bologna so gut wie nie verlassen hat – wenn wir einmal absehen von seinen gelegentlichen Sommeraufenthalten in Grizzana, einem Bergdorf des Apennin. Morandi ist dabei kein Provinzler geworden und erst recht kein Kunstprovinzler. Man muss bewundern, dass er aus dem Habitus der Zurückhaltung keine Ideologie gemacht hat. Er ist nicht bekannt geworden mit großmäuligen Erklärungen über die Aufgaben der Kunst und des Künstlers. Seine Äußerungen beziehen sich auf sein Werk. Seine Sätze sind betörend konventionell: »Das einzige Interesse, das die sichtbare Welt in mir erregt, betrifft den Raum, das Licht, die Farbe und die Formen.«
Genauso konventionell war Morandis Leben. Es ähnelt einer Abfolge von Konstanten, in deren Zentrum immer Bologna steht. Von 1907 bis 1913 (sechs Jahre lang) besuchte er die Akademie der Schönen Künste in Bologna. 1910, nach dem Tod des Vaters, bezog er mit der Mutter (und seinen drei Schwestern) eine kleine Wohnung in der Via Fondazza Nr. 36 in Bologna. Aus einem winzigen Zimmer dieser Wohnung machte er sein Atelier, in dem er bis zu seinem Tod (54 Jahre lang) gearbeitet hat. Von 1914 bis 1930 (16 Jahre lang) unterrichtet Morandi als Zeichenlehrer an Volksschulen in Bologna. Von 1930 bis 1956 (26 Jahre lang) war er Professor für Radiertechnik an der Akademie von Bologna. Im Abschiedsjahr von der Akademie (1956) unternahm er die erste und einzige Auslandsreise seines Lebens: nach Winterthur, wo die erste und einzige Auslandsausstellung zu seinen Lebzeiten stattfand.
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Francis Bacons Kampf ums Bild
Die »Studie zu einem Bildnis« von Francis Bacon ist 1953 entstanden und gehört in eine lange Reihe von Porträts, mit denen Bacon gewisse Verzerrungen seiner Menschenabbildung ausprobiert hat. Wobei das »Bildnis« eine vergleichsweise milde Vorform jener Deformierungen zeigt, mit denen Bacon in späteren Jahren zuerst berüchtigt und dann immer mehr berühmt wurde. Wir sehen einen Mann in mittleren Jahren; er trägt einen dunklen Anzug, ein weißes Hemd und Krawatte. Er sitzt auf einem Bett oder einem Sofa, das rechte Bein ist hochgezogen, seine rechte Hand ist unsichtbar; seine linke Hand ist zwar zu sehen, aber nur undeutlich als Hand identifizierbar. Im Rücken des Mannes sehen wir ein Eisengestänge, von dem wir nicht wissen, ob es zu einem Bett oder zu einem Sitzmöbel gehört oder ob es Teil eines Gitters ist. Ich nehme an, es handelt sich tatsächlich um ein
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