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Idyllen in der Halbnatur (German Edition)

Idyllen in der Halbnatur (German Edition)

Titel: Idyllen in der Halbnatur (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Genazino
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Gesicht und Bacons Leben eine Verbindung gibt. Bacon war ein Künstler, der seine Katastrophen kannte und deren laufende Wiederkehr als künstlerischen Impuls auszunützen wusste. Bacon gehört zu den nicht wenigen Exzess-Künstlern der Moderne, die ihre eigene Zerstörtheit als Inspiration ernst genommen haben. Sein persönliches Drama begann, als Bacons Vater, ein autoritärer Pferdezüchter, der ihn von Stallburschen auspeitschen ließ, seinen schon frühzeitig homosexuellen Sohn in der Unterwäsche seiner Mutter erwischte. Der Vater reagierte drastisch: Er verwies den Sohn des Hauses. Der erst sechzehnjährige Francis reagierte auf diesen barbarischen Akt mit erstaunlicher Souveränität. Er nahm den Hinauswurf, deutlicher formuliert: die Verstoßung durch den Vater, als belebenden Schicksalsschlag an und leitete aus dem Bruch mit der Familie die Künstlerphilosophie eines selbstbestimmten Lebens ab. Es begann eine hoffnungslos scheinende Odyssee als Vagant, Handlanger, Trinker. Er ließ sich von wohlhabenden Freiern aushalten – oft auch missbrauchen. Während vieler Jahre stand nicht die Kunst, sondern die Sexualität im Zentrum seines Lebens. Genauer: nicht so sehr die Sexualität, sondern die körperliche Verausgabung als Grenzmoment.
    In gewisser Weise ist es bei dieser Reihenfolge immer geblieben, freilich bei allmählich ansteigender Relevanz des künstlerischen Ertrags. Am erstaunlichsten ist vielleicht, dass Bacons Künstlerexistenz über lange Zeit dem Leben eines Dilettanten und Freizeitmalers nicht unähnlich war und dass er dennoch – ohne je ein Kunststudium absolviert oder abgebrochen zu haben – mehr und mehr zu einer eigenen Ausdruckswelt fand. In seinen reiferen Jahren ist Bacon zu einem extremen Masochisten geworden. Seine Liebespartner schlugen ihn zusammen, zerrissen seine Kleider und schlitzten seine Bilder auf. Nach Auspeitschungen durch homosexuelle Partner musste er häufig ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen. Es liegt auf der Hand, dass sich zwischen dem Verlangen nach Schmerz und dem Verlangen nach Schmerzausdruck eine Korrelation herausbildete. Denn in diesem Schmerz steckt auch die Herausforderung, das Leben selbst – seiner inneren Unverständlichkeit wegen – bannen und bestrafen zu wollen. Ich sage das mit aller gebotenen Vorsicht; die Verbindungslinien zwischen physischem Leid und künstlerischer Produktivität sind – bei allen Künstlern – im Kern unaufklärbar. Von sadistischen Ausschreitungen seiner Liebhaber verletzt, von Alkohol paralysiert, von Erstickungsanfällen heimgesucht (Bacon war Asthmatiker): so wankte dieser doch zart gebaute Mann lange nach Mitternacht in sein Atelier – und begann sofort zu arbeiten, und zwar stundenlang und äußerst ergiebig. Am nächsten und übernächsten Tag dasselbe von vorn. Dass Bacon bei diesem Lebenswandel tatsächlich 83 Jahre alt wurde, hat nicht nur ihn verwundert.
    Dabei müssen wir zwei Fakten festhalten. Bacon wollte weder »schreckliche« Bilder malen, noch wollte er illustrative, abbildende Malerei hervorbringen. »Ich möchte überhaupt keine Ungeheuer schaffen«, sagte er, »obwohl jedermann anscheinend glaubt, dass die Bilder zum Schluss dann doch so aussehen.« Ganz im Gegenteil war seine Intention darauf gerichtet, das Porträt des Menschen mit bisher unbekannten Mitteln neu zu erfinden. Man kann sagen: Er suchte das vertraut Erscheinende eines Gesichts im Nicht-Bekannten seines Ausdrucks. Wir fügen hinzu: Er malte die Assoziation des Betrachters gleich mit. Das raubtierhafte Gebiss eines Mannes ist ein Teil der Bildwelt des Betrachters, die allerdings vom Subjekt des Bildes freigesetzt wird. Diese Aporien des Sehens sind von Bacon stets zurückgewiesen oder geleugnet worden. Er war überzeugt davon, dass er es immer nur mit technisch-ästhetischen Problemen des Malens selbst zu tun hatte. »Der verzweifelte Eindruck, den die Bilder machen«, so bekannte er einmal, »(…) ist zurückzuführen auf die technische Schwierigkeit, im gegenwärtigen Entwicklungsstadium der Malerei äußere Erscheinungen festzuhalten. Wenn meine Menschen aussehen, als befänden sie sich in einer fürchterlichen Krise, dann nur deshalb, weil ich sie nicht aus dem technischen Dilemma herausbringen konnte. Meiner Ansicht nach gibt es heute kein Zwischending zwischen einem dokumentarischen Gemälde und einem erstklassigen Werk, in dem das dokumentarische Element transzendiert erscheint.«
    Wer will, kann in diesen Sätzen die Umrisse eines

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