If You Stay – Fuereinander bestimmt
im Traum der Tag ihres Begräbnisses ist, so sind meine Eltern doch nicht hier. Sie wurden eingeäschert. Sie lagen nie in Särgen vorn in einer Kirche.
In diesem Traum geht es nicht um sie.
Es geht um die Zweifel, die am Tag ihres Todes in mir erwachten, Zweifel, die den Wert des Lebens selbst betrafen. Leben erscheint sinnlos, wenn alles umsonst ist, wenn alles in einem schrecklichen Autounfall endet und nur Traurigkeit zurückbleibt.
Dies ist einer der Gründe, warum ich unbedingt Künstlerin werden wollte. Ich hatte vor, Schönes zu erschaffen, um das Hässliche auszugleichen. Yin und Yang. Licht und Schatten. Gut und Böse. Mein bewusstes Ich befasst sich mit diesem Kram nicht mehr. Aber mein Unterbewusstsein hat Probleme. Und die hatte es ganz offensichtlich noch nicht gelöst, daher dieser ständig wiederkehrende, verwirrende Traum. Und, um ehrlich zu sein, ich habe ihn immer noch nicht ganz verstanden.
Was ich bislang zu wissen glaube, ist, dass das Leben aus Gut und Böse, aus Schwarz und Weiß besteht. Und alles dazwischen ist ein Kampf darum, das andere zu dominieren. Das Leben ist ein Kampf.
Und ich finde es furchtbar, dass am Ende nichts mehr bleibt. Dass man eines Tages einfach nicht mehr da ist. Kein Lächeln mehr, keine Tränen, gar nichts.
Simsalabim!
Licht aus.
Ich seufze und streiche mit meinem Finger an dem schwarzen Sarg entlang. Der mit dem Teufel darin. Er ist wunderschön, auch wenn er böse ist. Doch während sich mein Arm bewegt, erblicke ich etwas, das anders ist. Etwas, das vorher noch nie da gewesen war.
Ich habe eine gezackte Narbe an meiner Hand, genau dort, wo Zeigefinger und Daumen zusammenlaufen.
Es ist ein X, so wie bei Pax.
Ich schrecke zusammen und starre sie an, sehe, dass sie alt und dick ist genau wie seine. Im Sonnenlicht wirkt sie irgendwie unheimlich, obwohl ich keine Ahnung habe, warum. Es ist bloß eine Narbe. Alles Mögliche kann sie verursacht haben.
Aber warum habe ich sie?
Ich strecke meine Hand ins Licht, drehe sie in der Sonne, beleuchte diese Narbe, die so vertraut ist an mir, wie sie es an ihm ist, ganz so, als hätte ich sie schon viele Jahre. Als gehöre sie zu mir.
Ich habe keine Ahnung, was das bedeutet. Aber mein Unterbewusstsein möchte, dass ich darüber nachdenke, so viel ist sicher. Da ist etwas, womit ich mich befassen sollte. Etwas, das es zu lösen gilt. Aber ich weiß nicht, was.
Ich schüttele den Kopf und gehe zu dem weißen Sarg hinüber. Denn eines weiß ich: Dass ich das hier beenden muss, damit ich aufwachen kann. Also öffne ich vorsichtig den Deckel des weißen Sarges und befreie eine Million funkelnder Sonnenstrahlen.
Sie schießen aus dem Sarg hervor und verschmelzen mit dem Licht, das sich durchs Fenster ergießt. Die Strahlen leuchten und glänzen. Ich stehe inmitten von ihnen, sonne mich in dieser Wärme und Güte, nehme das Licht in mich auf.
Und ich weiß, dass, wenn ich erwache, ich diese neue Energie, die mir die Strahlen verliehen haben, noch eine ganze Weile spüren werde. Das ist meine unbewusste Art und Weise, mich aufzuputschen. So habe ich es geschafft, nach dem Tod meiner Eltern mit der Trauer fertigzuwerden.
So werde ich nun mit jeder Art von Ungewissheit fertig.
Und der Narbe auf meiner Hand nach zu urteilen, vermute ich, dass es Pax’ Auftauchen in meinem Leben ist, das meinem Unterbewusstsein zu denken gegeben hat. Er war der Auslöser, dass ich diesen Traum wieder einmal hatte.
Ich mag vielleicht nicht richtig schlau werden aus diesem Traum, aber er kann nur eines bedeuten:
Ich bin mehr an Pax interessiert, als ich zugeben möchte.
Ich rolle mich mit einem Seufzer aus dem Bett und tappe im Schlafanzug den Flur hinunter. An Schlaf ist jetzt nicht mehr zu denken. Ich ärgere mich über mich selbst, weil ich einem fremden Mann erlaube, sich in meinen Kopf zu schleichen, und hantiere in der Küche lautstark mit dem Frühstücksgeschirr. Das hilft zwar nicht gegen meinen Verdruss, aber ich werde davon wach.
Glücklicherweise vergeht mein Tag schnell. Nach vier Tassen starken Kaffees wage ich mich in den Laden und plaudere mit freundlichen Kunden. Später arbeite ich an einem neuen Bild … etwas Helles und Heiteres. Wie immer gelingt es mir mit Hilfe der Malerei, mich aus einem Tief zu befreien.
Ich summe vor mich hin, als ich mich mittags aus dem Laden stehle, um schnell ein Sandwich zu essen. Beim Abschließen der Tür bemerke ich Pax’ schwarzen Wagen, der knapp zwanzig Meter von meinem Laden
Weitere Kostenlose Bücher