If You Stay – Fuereinander bestimmt
Junge, als deine Mom gestorben ist«, sagt Mila bedächtig. »Das muss schrecklich für dich gewesen sein. Kein Wunder, dass du die Erinnerungen verdrängt hast. Wie ist denn dein Vater damit zurechtgekommen? Hast du noch andere Verwandte?«
Normalerweise würde es mich abschrecken, wenn jemand so in meinem Privatleben herumschnüffelt, aber ich weiß, dass Mila sich nichts Böses dabei denkt. Ich glaube, sie versucht nur, aus mir schlau zu werden, herauszufinden, wie ich ticke. Ich muss fast lachen, denn das ist meiner Ansicht nach so gut wie unmöglich.
»Ja, ich war noch ein kleiner Junge«, bestätige ich. »Und vermutlich war das alles ganz schrecklich. Aber wie schon gesagt, ich habe so gut wie keine Erinnerungen mehr daran. Ich erinnere mich nur an ganz wenig, bis ich neun Jahre alt war oder so. Mein früherer Therapeut, zu dem ich als Kind ging, hat mir erklärt, dass sich mein Gehirn auf diese Weise vor dem Trauma geschützt hat. Mein Vater ist auch nicht gut damit zurechtgekommen. Das ist einer der Gründe, warum wir weggezogen sind. Er ist nie wieder der Alte gewesen. Meine Mutter hat ein Stück von ihm mitgenommen, als sie starb. Und nein, außer ihm habe ich keine Verwandtschaft mehr. Mein Großvater, der Vater meiner Mutter, lebt zwar noch, aber er war ziemlich verärgert darüber, als wir weggezogen sind, und redet nicht mehr mit mir. Er leitet eine Erdölfirma, durch die ich meinen Lebensunterhalt bestreite. Ich habe den Aktienanteil meiner Mutter geerbt.«
Und mir nichts, dir nichts habe ich Mila mehr von mir erzählt als irgendjemandem sonst seit langer Zeit. Ich schätze, mir ist bis zu diesem Augenblick gar nicht bewusst gewesen, wie sehr ich mich zurückgezogen hatte. Das ist ziemlich traurig. Aber ich konnte einfach mit niemandem so richtig etwas anfangen. Bis jetzt.
Ich schaue Mila an.
»Jetzt kennst du meine Lebensgeschichte. Und was ist mit dir? Ich weiß, dass deine Eltern gestorben sind. Was gibt es denn sonst noch über dich zu wissen?«
Ich greife nach der Weinflasche und gieße uns nach. Ich habe das Gefühl, dass wir angesichts der Richtung, die unser Gespräch nimmt, beide den Alkohol gut gebrauchen können. Als ich mich umschaue, stelle ich fest, dass sich das Restaurant geleert hat und nur noch leises Klirren aus der Küche dringt.
»Also, ich bin immer noch ganz fasziniert von der Tatsache, dass wir mehr gemeinsam haben, als ich geglaubt habe«, bekennt Mila, die Wangen vom Wein gerötet.
»Ja, wir gehören einem sehr elitären Club an«, sage ich und verdrehe dabei die Augen. »Wir wissen, wie es ist, in jungen Jahren ein Elternteil zu verlieren.«
»Du warst viel jünger als ich«, entgegnet sie ernst. »Ich war ja schon im College. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie schlimm das für einen kleinen Jungen sein muss, ohne seine Mom aufzuwachsen. Hat deine Großmutter denn noch gelebt? Wenigstens für eine Weile? Gab es überhaupt irgendeinen weiblichen Einfluss?«
Ich schüttele den Kopf. »Nein. Meine Großmutter ist schon vor meiner Geburt gestorben. Und nein, es gab, als ich aufwuchs, außer den Lehrerinnen, die ich in der Schule hatte, keinen weiblichen Einfluss.«
Mila hatte da etwas angesprochen, über das ich noch nie nachgedacht hatte. Ob mich die Tatsache, dass ich keine Mutter – oder irgendein anderes weibliches Wesen – gehabt hatte, in einer Weise beeinflusst, die mir nicht bewusst gewesen war? War das möglicherweise der Grund, warum ich so schlecht darin war, Beziehungen zu Frauen aufzubauen?
Milas Gesichtsausdruck nach zu urteilen, fragt sie sich gerade das Gleiche. Aber sie sagt nichts. Sie blickt ein wenig mitleidig drein, was ich hasse.
»Du musst mich nicht bedauern«, sage ich. »Es gibt Millionen von Menschen, deren Mutter gestorben ist. Dir ist es ja auch passiert. Ich bin da nichts Besonderes. Wir schlagen uns alle durch, so gut es eben geht.«
Sie sieht mich nachdenklich an. »Du willst also kein bisschen nachsichtig mit dir sein, weil du ohne Mutter aufgewachsen bist?«
Ich verdrehe die Augen. »Versuchst du etwa, irgendeinen Grund dafür zu finden, dass aus mir so ein Arschloch geworden ist? Der Grund ist … ich bin eben ein Arschloch. Manche Dinge im Leben lassen sich nicht erklären. Basta. Arschloch ist Arschloch. Ein Regenbogen ist hübsch anzusehen. Katzenbabys sind süß. Frauenfilme sind traurig. So ist es nun mal, ohne dass es eine Erklärung dafür gibt.«
Und jetzt verdreht Mila die Augen.
»Mag schon sein, dass Dinge
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