Igor der Schreckliche
glücklich aus.
„Ach Opa! Du fehlst mir! Du würdest mir glauben!“ Lara erinnert sich an die beeindruckende Liebesgeschichte, die ihr Opa früher immer erzählte und die ihre Mama als Spinnerei eines alten Tatterers bezeichnet hatte.
Es scheint ihr, als höre sie Opas sanfte Stimme: „Komm her, mein Mädchen, setz dich zu mir. Ich will dir jetzt eine Geschichte anvertrauen. Eine wahre Geschichte, gleichwohl sie verrückt klingen mag. Fürchten musst du dich nicht. Vor der Liebe muss man sich nicht fürchten. Schon mein Urgroßvater hat so eine ungewöhnliche Geschichte erlebt. Das weiß ich von meinem Großvater. Und deshalb sei gewiss, mein Kind, dass ich dir keinen Unsinn erzähle!
Eines Abends ging ich im Wald spazieren. Als ich ein junger Bursche war, gab es hinter unserem Hof bis hinauf zum verlassenen Friedhof einen dichten Wald. Dort lernte ich ein wunderschönes Mädchen kennen. Es war blass und trug seltsame Kleidung. Ich versank regelrecht in seinen blassblauen Augen, die unendlich viel Traurigkeit und trotzdem endlose Leidenschaft in sich trugen. Sein makelloses Gesicht habe ich noch heute klar vor Augen, so sehr hat es mich beeindruckt.
Obwohl ich schüchtern war, fing ich ein Gespräch mit ihm an. Ich wollte wissen, warum sich dieses hübsche, fremde und eigentümliche Mädchen bei uns im Wald stets nur abends und nachts aufhält. Sämtliche Versuche, es nachmittags zu treffen, waren vergebens. Im Mondschein trafen wir uns fast jede Nacht. Ich wollte es heiraten, so verliebt war ich! Jede Nacht fragte ich. Das Mädchen lehnte jedes Mal ab und nannte mir keinen Grund. Es sagte nur, es ginge nicht. Daraufhin hab ich mich für einige Nächte rargemacht, obwohl mein Verlangen unendlich war. Ich hielt es kaum aus. Das Mädchen war jede Nacht gekommen.
In jener Nacht, in der ich es wiedersah, erklärte es mir, warum es mich nicht heiraten könne: Es war ein Vampir. Zuerst wollte ich es nicht glauben. Es zeigte mir im Vollmondlicht die Pracht seiner spitzen Eckzähne. Und dann erinnerte ich mich an die fast vergessenen Geschichten meines Großvaters über meinen Urgroßvater. Vampire existieren!
Dass wir an diesem Tag nicht alleine waren, wussten wir nicht. Seine Familie hatte es verfolgt. Sie haben uns aufgespürt, weil sie mein Menschenblut rochen. Es gab ein großes Drama und ich konnte ihm nicht helfen. Schließlich schleppten sie das Mädchen fort. Mich ließen sie eigenartigerweise in Ruhe. Seitdem habe ich es nicht mehr gesehen.“
Opa hätte ihr nie von Vampiren erzählt und betont, es sei eine wahre Geschichte, wenn es nicht so gewesen wäre. Und Opa hätte nie behauptet, dass sein Großvater in einer ähnlichen Lage gewesen wäre!
Ist dieser eigenartige Junge ein Vampir?
Es gibt einen Weg, das herauszufinden. „Ich muss zum Friedhof. Und zwar in der Nacht! Sobald die Vampire aus den Gräbern steigen, um sich zu ernähren!“
Lara wälzt sich die ganze Nacht lang hin und her. Sie sieht im Traum dunkle Gestalten über sich schweben, deren Eckzähne sich in ihren Hals bohren.
Verschwitzt wacht sie auf.
Ein Traum. Alles nur ein Traum.
Lara steht auf, geht zum Fenster. Der Friedhof trägt noch sein Nebelgewand. Heute Nacht soll sie die Wahrheit erfahren.
Am Frühstückstisch zerstört Mama ihre Pläne. Tante Matilda kommt, Laras Patentante. Und weil sich Lara und ihre Patin gut verstehen, schläft Matilda bei jedem Besuch mit ihr im Zimmer. Lara kann unmöglich in der Nacht mal eben schnell verschwinden.
Lara ist enttäuscht. Aber gleichzeitig freut sie sich auf Tante Matilda. Ob sie Mama überzeugen kann, dass Fußball der wahre Sport ist?
Tante Matilda kommt erst am späten Nachmittag. Lara kann nach der Schule zum Friedhof laufen, um Irmi das Neueste zu berichten. Da fällt ihr ein, dass das Tagebuch noch immer verschwunden ist. Dann berichtet sie halt der toten Irmgard die Geschichte! Hauptsache, sie kann ihre Gedanken endlich aussprechen!
Sie könnte ebenso Bille anrufen. Was würde Bille von ihr denken, wenn sie die Geschichte ihres Opas erzählte? Und dann noch von der Begegnung mit dem Vampir vor ihrem Fenster?
Am Friedhof angekommen klappert Lara die Umgebung ab. Sie hofft, Fußspuren zu sehen als Beweis, dass gestern jemand da war.
Nichts.
„Das passt alles nicht zusammen!“, sagt sie und lässt sich vor Irmgards Grab plumpsen. In diesem Moment kämpft sich die Sonne hinter einer Wolke hervor und strahlt den Stein an, hinter dem sich Laras Tagebuch normalerweise
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