Igor der Schreckliche
versteckt. Lara überlegt, ob dies ein Zeichen sei. Obwohl Lara nicht glaubt, dass sie plötzlich hinter dem Stein ihr Tagebuch entdeckt, beschleunigt sich ihr Herzschlag von null auf hundert. Lara starrt in den Ritz und holt verblüfft das Tagebuch heraus.
Sie drückt es an sich und wundert sich über den eigenartigen Geruch, den sie nicht zuordnen kann. Lara klappt es auf und blättert vor bis zu ihrem letzten Eintrag. Ein zusammengefalteter Zettel fällt heraus, der ebenfalls merkwürdig riecht. Naserümpfend faltet Lara das Papier auseinander und liest vier kurze Sätze:
Ich habe dein Buch gestohlen
.
Und gelesen
.
Das tut mir leid
.
Entschuldige
.
Igor
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Kapitel 11
Ein Brief für Igor
„Spinnt der?“ Lara starrt auf den Zettel. Da klaut irgendein Kerl ihr Tagebuch, liest es unverschämterweise und alles, was er dazu zu sagen hat, ist „Entschuldigung“. Warum in aller Welt ist es für einen Jungen so spannend, ihr Leben, ihre Probleme zu lesen? Wer ist das? Woher wusste er von dem Tagebuch? Und überhaupt! Igor! Was ist das für ein Name? In der Schule heißt keiner so! Der müsste sich was anhören! Lara lacht kurz auf. Vielleicht ist Igor gar nicht sein Name, sondern ein Pseudonym. Autoren veröffentlichen oftmals unter einem anderen Namen.
Laras Zeigefinger wandert über die Worte. Sie sehen aus wie von schwarzer Tinte geschrieben, mit einer Feder wie in alten Zeiten. Nach einem Schönschreibfüller sieht es jedenfalls nicht aus! Wahrscheinlich hat besagter Igor die passende Schriftart in Word gewählt und dann ausgedruckt, weil er nicht als Verfasser dieser Zeilen überführt werden wollte. An der Schreibweise kann man Leute identifizieren. Billes Schrift erkennt sie sofort! Bille schreibt in einer wunderschön geschwungenen Schreibschrift.
Eines weiß Lara: Mama hat das Tagebuch nicht gestohlen. Ein leicht schlechtes Gewissen schleicht sich bei ihr ein. Mama war für sie die erste Tatverdächtige. Die Beweise dafür waren hieb- und stichfest. Erstens: Mama mag keine Tagebücher. Zweitens: Mama hat ein Tagebuch, das Lara vor zwei Jahren von Bille zum Geburtstag bekommen hatte, weggeschmissen. Weil, drittens, Mama findet, dass Tagebücher Geheimnisse hüten und es in einer Familie keine Geheimnisse gibt.
Nur ein Argument sprach gegen Mama: Sie mag keine Friedhöfe, vor allem keine uralte, einsame Trümmerlandschaft, wie sie den Hügelfriedhof schimpft. Nur der Gedanke an diesen Ort jage ihr einen Schauer über den Rücken, sagt sie.
Kurzzeitig hat Lara ihre Brüder unter Verdacht. Die haben aber weiß Gott Besseres zu tun, als sie zu foppen. Für solche Jungenscherze sind sie schon zu erwachsen. Nichtsdestotrotz wird Lara ihre Brüder in der nächsten Zeit genau beobachten.
Lara lehnt mit dem Zettel in der Hand an ihrem Baum. Sie will wissen, wer Igor ist! Sie muss Kontakt zu ihm aufnehmen. Lara reißt aus ihrem Notizbuch, das sie stets bei sich führt, ein paar Seiten heraus. Sie schnappt sich den Kuli ihres Lieblingsfußballvereins und schreibt Igor zurück.
Hallo Igor, du Halunke!
Das war überhaupt nicht nett von dir! Ich habe mein Tagebuch ewig gesucht (Gut, das ist leicht übertrieben, aber besagter Dieb weiß dies ja nicht!) und schrecklich vermisst!
Ich finde es saumäßig fies von dir, dass du es gelesen hast! Wie kommst du dazu? Hast du keinen Anstand? Großzügigerweise mache ich dir einen Vorschlag, wie du das gutmachen kannst! Da du mein Leben, all meine Gedanken, Sorgen, Lügen und Wutanfälle kennst, fordere ich von dir, mir ebenso hemmungslos zu beschreiben, wie es in deinem Leben aussieht
.
Ein Foto wäre gut! Damit ich dich finde!
-
Diesen Satz schreibt Lara dann doch nicht.
Um dir den Anfang zu erleichtern, stelle ich dir ein paar Fragen, die du wahrheitsgemäß beantworten musst. Falls du flunkerst, werde ich das herausbekommen! Meine Fragen lauten:
1. Wie alt bist du?
2. Wo wohnst du?
3. Wie heißt du? Und komm bloß nicht auf die Idee, Igor zu sagen. Das glaube ich eh nicht!
4. Wie lautet dein Nachname?
5. Auf welche Schule gehst du?
6. Deine Hobbys sind?
7. Kennen wir uns?
8. Woher wusstest du von meinem Tagebuch?
9. Hast du es jemand anderen lesen lassen? Wenn ja, dann gnade dir Gott!
Lara steckt den Zettel in das Tagebuch, stopft es in den Schlitz und verschließt ihn mit dem Stein. Sie verabschiedet sich wie üblich mit einer kurzen, ehrlichen Verneigung und flüstert
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