Igor der Schreckliche
Begrüßungsrituale findet Onkel Temerar altbacken. Aber in dieser Welt muss er sich fügen.
„Schön, dich zu sehen, Igor! Wenn auch“, Onkel Temerar blickt sich um, „an einem recht ungewöhnlichen Ort.“ Er schmunzelt. „Wir sollten uns hier nicht zu lange aufhalten. Wenn dich jemand sieht. Wenn dich jemand mit MIR sieht. Nicht auszudenken! Los, lass uns gehen!“ Onkel Temerar dreht Igor zum Draculakopf und flüstert ihm das Passwort zu.
Igor zögert. Soll er das oberste Gesetz brechen und noch mehr Schande über die Familie bringen? Bestimmt bekommt Onkel Temerar Ärger!
„Igor! Mach hinne! Es kommt jemand!“
„Irma die Schöne“, flüstert Igor dem Draculakopf zu. Schritte sind zu hören.
Warum öffnet sich das Tor nicht? Augenblicklich verschwindet Igor unter Onkel Temerars Umhang. Die Schritte werden lauter.
„Irma die Schöne“, sagt Onkel Temerar mit kräftiger Stimme. Das Tor öffnet sich und sie huschen eiligst hindurch.
Mühsam schiebt Onkel Temerar einen Stein beiseite. Der Vollmond blitzt hervor. Dann zeigt er sich mehr und mehr. „Komm nach oben!“, sagt Onkel Temerar. Igor schickt sich und stößt mit dem Kopf an. Etwas Hartes fällt ihm auf die Füße. „Komm, Igor!“
Neugierig greift Igor nach dem Gegenstand. „Ein Buch mit einer Schleife.“ Er runzelt die Stirn.
„Igor!“ Onkel Temerar drängt. Er versteckt das Buch unter seinem Umhang.
Oben guckt er sich um. Dank des Mondlichts entdeckt er viele Gräber und eine Kirchenruine. Er versucht, den Namen auf dem Grabstein zu entziffern. Unmöglich.
„Wer liegt da?“, fragt Igor.
„Irma die Schöne“, antwortet Onkel Temerar.
„Besonders einfallsreich ist das Passwort nicht!“, stellt Igor fest.
Onkel Temerar nickt zustimmend. „Das stimmt. Falls du durch ein anderes Grab gehen wolltest, was nicht möglich wäre, bräuchtest du den Namen des Grabes. Und wie du siehst, kann man ihn kaum mehr lesen.“
„Warum ist es nicht möglich? Und wer ist diese ominöse Irma die Schöne? Tote Vampire liegen in den Gruften bei ihrer Familie. Und die Verstoßenen auf dem Friedhof Sepulcretum.“ Igor blickt Onkel Temerar wissenshungrig an.
Onkel Temerar winkt ab. „Später, Igor! Wir müssen uns beeilen!“
„Ähm, Onkel Temerar, ich bin noch nie geflogen!“
Entsetzt blickt er Igor an und schüttelt den Kopf. „In der Schule lernt ihr nichts Sinnvolles mehr! Pass auf! Du breitest deinen Umhang aus. Ungefähr so.“ Onkel Temerar öffnet seine Arme. „Dann gehst du ein wenig in die Hocke und springst mit Kraft nach oben, hebst und senkst deine Arme dazu.“ Onkel Temerar schwebt.
Igor muss es ein paarmal versuchen, nach dem dritten Mal klappt es endlich. Onkel Temerar und Igor fliegen über Menschendörfer, Wälder und Wiesen. Es gibt viele Dinge, die er nicht kennt, nicht benennen kann. Er ist fasziniert.
„Es ist Zeit!“, sagt Onkel Temerar.
„Was? Jetzt schon?“ Igor zieht einen Flunsch.
„Tut mir leid. Du willst doch unentdeckt zurückkehren?“
Igor nickt.
Onkel Temerar begleitet Igor noch bis zum Unheimlichen Wald. „Lass dich nicht ärgern!“
„Danke, dass du mich mitgenommen hast! Das war echt der Hammer! Total abgefahren! Darf ich …“
Onkel Temerar schüttelt den Kopf. „Nein, Igor. Das heute war eine absolute Ausnahme. Beim nächsten Mal könnten wir weniger Glück haben. Es ist zu gefährlich.“
Sie umarmen sich und Onkel Temerar verschwindet im Wald.
Igor schleicht nach Hause, das Buch in seinem Umhang versteckt. Er streicht darüber und erträgt kaum die Spannung. Von wem es wohl sein mag?
KAPITEL 6
Das verschwundene
Tagebuch
Am frühen Abend saust Lara zum Friedhof rauf. Zum einen, weil sie überzeugt ist, dass Mama erneut mit dem leidigen Fußball-Ballett-Thema anfangen würde. Zum anderen, weil sie Irmi erzählen will, was los ist. Vielleicht hat Lara beim Schreiben einen Einfall, wie sie Mama vom Fußballspielen überzeugen kann. Bille und sie haben während der langweiligen Deutschstunde Zettel mit Ideen hin- und hergeschoben. Keine klang überzeugend.
Lara mustert den Stein, hinter dem sich ihr Tagebuch befindet. „Irgendwie schief!“ Sie schiebt ihn beiseite, greift hinein. Ihre rechte Hand huscht nach links, nach rechts, wieder nach links und nach rechts. Weiter hinten versuchen ihre Finger, das Tagebuch zu ertasten. Sie stoßen nur an Erde.
„Das kann nicht sein!“, schreit Lara. „Irmi! Irmi! Wo bist du?“ Verzweifelt schiebt Lara ihren Kopf Richtung Loch, in der
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