Ihr Auftritt, Mr. Pringle!
zwei Stunden harrten sie, in
dichtgedrängten Reihen sitzend, aus.
In der Nachrichtenredaktion
stieg die Temperatur, wuchs die Spannung. Keiner der beiden Streithähne wollte
nachgeben. Ein Außenseiter hätte es als einen trivialen Streit um die
Reihenfolge der Beiträge abgetan, aber der Disput hatte tiefere, primitivere
Wurzeln. Die Erfahrung begehrte gegen die Vetternwirtschaft auf: eine
Niederlage war natürlich unvermeidlich.
Jack Kemp war ein Mann mit
Erfahrung. Seit mehr als dreißig Jahren führte er Regie. Christopher Gordon
dagegen hatte diese Aufgabe erst vor weniger als zwei Monaten übernommen, aber
er war ein Neffe von Malcolm Gordon, dem Intendanten und Beherrscher von Bath
& Wells Television. Malcolm hatte aus nur ihm bekannten Gründen vor
einer Stunde angeordnet, daß sein Neffe heute das Abendprogramm fahren soll.
Die Angestellten schnauften, murmelten und setzten ihre Arbeit fort. Es war
boshaft, aber das war nun mal Malcolms Art. Sie zuckten die Achseln und
akzeptierten das Unvermeidliche. Alle bis auf Jack Kemp. Er wollte kämpfend
untergehen. Wenn ihm auch der Lorbeerkranz — die Ehre, das Ereignis des Abends
zu leiten—entrissen worden war, so gab es doch immer noch die Sendefolge, über
die man streiten konnte.
Artemis, die
Programmassistentin, rief, daß wieder dreißig Sekunden vergangen seien, aber
Jack Kemp hob die Hand. Wie auf ein Stichwort änderte sich das Bild auf den
Monitoren. Die Mitglieder der königlichen Familie wurden durch den Intendanten
ersetzt. Die Kamera zoomte das massige Gesicht heran, das die Anwesenden
unerbittlich anstarrte. Malcolm Gordon wirkte auf den ersten Blick wohlwollend
— bis man seinen Mund erblickte. Schlagartig dominierte seine Persönlichkeit
den Raum. Jack gab es den Rest: der Große Bruder mischte sich mal wieder ein.
«Zum Teufel mit dir und deinem
verfluchten Onkel!» sagte er verbittert und dann zu Artemis: «Verteil den
Sendeplan so, wie er ist. Ich geh mal eben pinkeln.»
Alle spürten, welche Wirkung
die Spannung auf ihre eigene Blase hatte, aber niemand folgte ihm. Es war
allgemein bekannt, daß Jack vor jeder Sendung einen ordentlichen Schluck
benötigte, keine Toilette.
Artemis warf den Sendeplan auf
das Kopiergerät. Blaue Kopien wirbelten heraus, die nervösen Techniker griffen
danach. Aufgestaute Energie wurde endlich freigesetzt. Die Autoren begannen,
ihre Neufassungen zu überarbeiten, und von überallher kamen jene zusammen, die
sich über die gnädige Hand beugen sollten.
Montag, 2. April 1984, 17.53:45
Uhr
Das neue Fernsehzentrum litt
darunter, ein Zweckbau zu sein. Es war von einem Verwaltungsrat in Auftrag
gegeben worden, in dem nicht ein Mitglied einen Funken Branchenerfahrung hatte.
Die Architekten hatte das nicht weiter gestört, sie waren selbst noch nie
vorher in einem Fernsehstudio gewesen. Auf diese Weise konnten sie ihre Aufgabe
ganz unvoreingenommen bewältigen. Wie ein schuldbeladenes Geheimnis machte
diese Unzulänglichkeit beide Parteien zu Verschwörern. Der Verwaltungsrat hörte
zu, als die eifrigen Planer ihre Vision beschrieben. Sie stellten sich ein
modernes, unstrukturiertes Konzept vor, erklärten sie, was ein unbehagliches
Schweigen auslöste. Aber der Intendant war begeistert, und so stimmten alle
gehorsam mit «Ja».
Als das Modell hereingetragen
wurde und die Verwaltungsratsmitglieder einen zartgefärbten neogeorgianischen
Kasten mit Schiebefenstern sahen, seufzten sie vor Erleichterung. Jetzt
verstanden sie. Sie wetteiferten miteinander im Gebrauch der neugelernten
Vokabeln: «modern», «unstrukturiert», «Konzept». Sie hätten sich keine Sorgen
machen müssen. Sie sprachen doch alle die gleiche Sprache.
Von ihren alten Studios aus,
einem umgebauten, überbelegten Lagerhaus, dessen Platzmangel sie zu einer
sorgfältigen Nutzung angeleitet hatte, beobachteten die Angestellten
mißtrauisch, wie das neue Gebäude Gestalt annahm. Klugerweise begannen die
Architekten mit den Büros. Das lag ihnen. Einer der beiden hatte sogar einmal
einen Preis dafür bekommen. Helle, luftige Räume mit Grastapeten und dazu
passende Papierkörbe, aufgereiht an den Außenwänden. Die Buchhalter, die darin
arbeiten sollten, waren entzückt. Zwar litt der eine oder der andere bald an
Heuschnupfen, aber das führten sie eher auf Stress als auf das Dekor zurück.
Als der Hauptbuchhalter einmal Rupert Asante, den Chefbühnenbildner, fragte, ob
er die Büros für geschmackvoll halte, antwortete dieser ernst, ein
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