Ihr Pferd ist tot - Steigen Sie ab
ich kann doch meine Kollegen und Freunde nicht im Stich lassen. Und natürlich: Ich möchte mich unbedingt beruflich verändern, aber …
Wenn das alles ich bin – wer bin dann
ich
? Bin ich viele?
Und wenn ja, wie viele
? (Vielleicht haben Sie schon von diesem Buchtitel des Philosophen Richard David Precht gehört.) Nein, es geht mir hier nicht um gespaltene oder multiple Persönlichkeiten, sondern um unsere ganz normale innere Vielstimmigkeit. Dies ist nichts Pathologisches oder auch nur Ungewöhnliches. Das, was wir »Ich« nennen, ist eine komplexe Konstruktion verschiedenster Anteile – und es ist ein kleines Wunder (und sehr praktisch!), dass wir imstande sind, uns daraus die Vorstellung eines einheitlichen Ichs zu schaffen. Und das, |99| obwohl wir seit unserer Geburt ja körperlich und geistig unendlich viele Veränderungen durchlaufen haben – trotzdem erleben wir uns als ein kontinuierliches Ich.
Im Laufe unseres Lebens haben wir ganz unterschiedliche und oft widersprüchliche Einflüsse und Erfahrungen verarbeitet. Wie wir beim Spazierengehen am Strand Spuren im Sand hinterlassen, entstanden so »Abdrücke« von Personen und Erfahrungen in unserer Persönlichkeit. Einige haben uns so stark geprägt, dass wir sie uns zu eigen gemacht haben, zu abgegrenzten Teilen unseres Ichs. Auf diese Weise konnten wir auch sehr unterschiedliche Erfahrungen in unsere Persönlichkeit integrieren. Zum Beispiel habe ich so gelernt, ein großzügiger Mensch zu sein – aber in anderen Situationen kann ich auch ausgesprochen kleinlich sein.
Deshalb passen unsere Teilpersönlichkeiten nur mehr oder weniger gut zusammen – und manchmal sind sie wie Feuer und Wasser! Dann fühlen wir uns innerlich zerrissen und können unsere Widersprüche nur schwer aushalten und leben. Häufig bilden einschränkende Glaubenssätze den Kern eines Anteils. Wie wir ja schon gesehen haben, sind diese sehr stabil und führen dazu, dass ein Persönlichkeitsanteil die Welt nur aus einem sehr engen Blickwinkel betrachtet.
Das Team am Kapitelanfang ist das Beispiel eines »inneren Teams« (diesen Begriff hat der Psychologe Friedemann Schulz von Thun geprägt). Diese sehr unterschiedlichen Persönlichkeiten können alle Teil meines Ichs sein, die ganz eigene Positionen zu meiner beruflichen Veränderung vertreten:
Ich habe große Sehnsucht nach Aufbruch und Veränderung und würde lieber heute als morgen einen neuen Job beginnen (A).
Andererseits hat »jemand in mir« auch große Angst und ist sehr sicherheitsbedacht (B).
Ein Teil von mir ist nur nach außen orientiert, möchte es allen recht machen und fürchtet die Kritik meiner Umwelt, wenn ich tatsächlich etwas Ungewöhnliches tue (C).
Und dann gibt es da noch meinen »inneren Kritiker« (D) – der lässt mich ständig an meinen Wünschen und Gedanken zweifeln.
Meistens sind wir uns unserer inneren Vielstimmigkeit gar nicht bewusst, und das ist auch sehr gut so. Um handlungsfähig zu sein, brauchen wir die Vorstellung eines einheitlichen Ichs – und bei vielen kleinen Alltagsfragen spüren wir zwar oft unser inneres Für und Wider, können aber trotzdem eine Entscheidung treffen. Problematisch wird es, wenn es um wichtige und komplexe Themen geht und wir innerlich in verschiedene Fraktionen gespalten sind. Dann fühlen wir uns innerlich festgefahren wie ein Kleinwagen im Wüstensand.
Ganz normal blockiert — kalte Füße gehören dazu
Ich nehme an, Sie verstehen inzwischen, wovon ich spreche. Menschen, die in meine Coachingpraxis kommen, weil sie sich beruflich verändern wollen, leiden fast immer unter einer mentalen Blockade – wäre dies nicht so, könnten sie ihren Wunsch nach Veränderung viel leichter in die Tat umsetzen. Wenn Sie dieses Buch in der Hand haben, weil Sie sich nicht von Ihrem toten Job-Pferd verabschieden können, sind Sie mit sehr großer Wahrscheinlichkeit ebenfalls mental blockiert. Sich dessen bewusst zu werden, ist ein erster – wichtiger! – Schritt zur Lösung.
Woran kann ich erkennen, dass eine mentale Blockade mein Problem ist? Ganz einfach: Ich komme nicht vom Fleck, verbrauche dabei aber fühlbar Energie. Wie ich schon an anderen Stellen beschrieben habe: Ein Teil von mir drückt das Gaspedal durch, ein anderer die Bremse – irgendwann ist der Tank leer (oder der Motor kaputt), und ich habe mich gar nicht bewegt. Meistens melden sich allerdings die verschiedenen inneren Richtungen nicht gleichzeitig, sondern immer nur nacheinander: In einer Sekunde
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