Ihr Pferd ist tot - Steigen Sie ab
erst einmal bewusst gemacht haben, welchem Glaubenssatz wir bisher widerspruchslos gefolgt sind, fängt er an, seine Wirkung auf uns zu verlieren, weil wir als erwachsene Menschen plötzlich seine Unsinnigkeit durchschauen.
Glaubenssätze und tote Pferde
Wenn wir tote Pferde reiten und meinen, dass das Leben für uns keine lebendigen vorgesehen hat, haben einschränkende Glaubenssätze immer ihre Hände im Spiel. Sie drängen uns, viel zu enge Grenzen zu akzeptieren, machen uns misstrauisch uns und anderen gegenüber und zielen darauf ab, alles so zu lassen, wie es ist und immer war. In jedem der »Gründe, ein totes Pferd zu reiten« wirken auch einschränkende Glaubenssätze. Wie wir ja gesehen haben, stecken in allen falsche oder zumindest sehr einseitige Annahmen über uns und die (Arbeits-)Welt. Wir halten aber an ihnen fest, weil sie uns so selbstverständlich erscheinen, dass uns eine kritische Betrachtung gar nicht in den Sinn kommt. Es stellt sich nur die Frage: Warum hat man uns diese kleinen, miesen Lügen mit auf unseren Weg gegeben? Was haben sich unsere Familien, Lehrer und Vorbilder eigentlich dabei gedacht? War es denn pure Bösartigkeit?
Das halte ich für sehr unwahrscheinlich. Einschränkende Glaubenssätze sind meistens ein Teil unseres Erbes, das oft über Generationen |92| geglaubt, gelebt und weitergegeben wurde. Bis ins letzte Jahrhundert war es der Normalfall, dass Kinder ein sehr ähnliches Leben wie das der Eltern und Großeltern führten. Es hatte bestimmt Sinn, wenn der Nachwuchs keine Flausen im Kopf hatte, sondern dem tradierten Lebensmodell folgte. Ein Glaubenssatz wie »Schuster, bleib bei deinem Leisten« mag einmal ein wirklich guter Rat der Karriereplanung gewesen sein, da er Menschen in der Spur hält – vor allem, wenn er blind befolgt wird. Dann bewirkt er, dass gar nicht mehr links und rechts »neben der Spur« nach Alternativen geschaut wird.
Wenn unsere Eltern oder andere wichtige Bezugspersonen und Vorbilder uns dieses einengende Erbe mitgegeben haben, stammt es wahrscheinlich wiederum aus deren Erbe und so weiter. Über Generationen waren Sicherheit und Kontinuität schließlich
die
zentralen Werte – oder wie die CDU in den fünfziger Jahren wahlkämpfte: »Keine Experimente!« Aber die Welt hat sich geändert und verlangt von uns eigenes Denken und nicht auswendig gelernte Weisheiten des letzten und vorletzten Jahrhunderts.
Wie realistisch darf’s denn sein?
»Seien wir realistisch, versuchen wir das Unmögliche.«
Ernesto Che Guevara
Mit einem Coachingklienten habe ich einmal einen Teil seiner Persönlichkeit betrachtet, der für ein ziemlich negatives Selbstbild stand, ungefähr nach dem Motto: »Ich kann nichts, ich bin nichts und habe deshalb auch keine Chancen.« Ich fragte den Klienten, welchen Namen er denn diesem Anteil geben würde – und erwartete so etwas wie »mein innerer Kritiker« oder »der Runtermacher«. Seine spontane Antwort war allerdings: »Das ist mein Realist!« So einen entwertenden Blick auf sich und seine Fähigkeiten empfand er tatsächlich als realistisch!
Ich habe mit dem Wort »realistisch« ein Problem, denn es wird in meinen Augen häufig verdreht verwendet und missbraucht. Wenn Sie |93| mich im März in meiner Heimatstadt Hamburg besuchen, ist es sicherlich realistisch, Regen in Betracht zu ziehen und einen Regenmantel mitzunehmen. Oder es mag realistisch sein, vom jetzigen Papst keine Pro-Kondom-Kampagne zu erwarten. Aber häufig sagen Menschen – ganz selbstverständlich und scheinbar ohne nachzudenken –, dass es doch ganz unrealistisch sei, ihren Wunschjob zu finden oder sich damit selbstständig zu machen. Und sie verbinden das Urteil unrealistisch mit ihrem Alter, ihren Fähigkeiten, Möglichkeiten oder Verantwortungen: »Für jemanden wie mich ist es unrealistisch …«
Manche Menschen fragen mich, ob ich es denn überhaupt für realistisch halte, was sie sich wünschen und möglicherweise umsetzen wollen. Als selbstkritische Bürger sehen wir anscheinend unsere Pflicht darin, in jeder Lebenslage realistisch zu bleiben. Nur: Nach welchen Kriterien soll denn wer beurteilen, was das heißt? Ein Satz wie »Na, das ist aber unrealistisch!« sagt doch oft mehr über den Glauben des Sprechers aus, als dass daraus eine differenzierte Einschätzung spricht. Meist ist es nicht mehr als ein Totschlagargument, das so gut wirkt, weil es uns erwischt, wo wir besonders empfindlich sind: bei unseren einschränkenden
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