Ihr Wille Geschehe: Mitchell& Markbys Zehnter Fall
Einladung.«
»Kein Problem. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg. Hoffentlich finden Sie die Mordwaffe bald.« Er wandte sich ab und ließ sie mit ihrer Arbeit allein.
Amanda Crane sah ihm hinterher, bis er durch das Tor war, dann wandte sie sich dem Trupp zu, der die Koppel absuchte. Der Superintendent schien ein netter Bursche zu sein, trotzdem war es ein Ärgernis, ihn hier zu haben. Er wollte sich nicht einmischen. Er war im Urlaub, und dies war kein Fall, der ihm unterstand. Trotzdem, er konnte nicht anders, wie es schien. Er war beruflich interessiert, und sie hatte überempfindlich reagiert, indem sie jedes Wort aus seinem Mund als Kritik aufgefasst hatte. Sie hatte sich allein durch Superintendent Markbys Anwesenheit hier auf der Koppel aus der Fassung bringen lassen. Die Erkenntnis machte sie noch ärgerlicher.
Sie hatte seine Frage, warum sie sich für den Polizeidienst entschieden hatte, nur zur Hälfte beantwortet. Dauernd wurde sie von irgendwelchen Leute danach gefragt, und sie war inzwischen daran gewöhnt. Sie erzählte nur selten die ganze Geschichte, erstens, weil sie schwierig zu erzählen war, und zweitens, weil sie zu persönlich und beinahe unbedeutend klang – nur, dass an einem Tod nichts Unbedeutendes war.
Es war der Tod ihres Bruders gewesen. Der Fahrer hatte Fahrerflucht begangen, vor vielen Jahren. Ihr Bruder war damals zehn Jahre alt gewesen, sie selbst acht. Stevie war auf einen einfachen Botengang geschickt worden und nicht zurückgekehrt. Sie hatten nach ihm gesucht und seinen Leichnam gefunden, hoch oben auf einer grasbewachsenen Böschung, wo der Aufprall ihn hingeschleudert hatte.
Der Fahrer hatte sich kurze Zeit darauf gestellt. Er war auf seiner zuständigen Wache erschienen, zusammen mit seinem Anwalt, der seine Rechte schützen sollte. Er sagte aus, dass Stevie ihm vor den Wagen gelaufen wäre. Danach wäre er geflüchtet, weil er einen Schock erlitten hätte. Er war ein vollkommen unbeschriebenes Blatt, sagte sein Anwalt, und wies darauf hin, dass sein Mandant durch den Unfall zutiefst erschüttert wäre und der Familie sein tief empfundenes Beileid auszusprechen wünschte. Es war ein geschickter Schachzug gewesen, sich selbst zu stellen, nachdem er einen Anwalt gefunden und sich die Geschichte zurechtgebogen hatte. Es machte einen guten Eindruck vor Gericht, und die Richter glaubten ihm. Es hatte keine Zeugen gegeben. Er hatte Reue für sein Verhalten demonstriert.
Ihre Tante hatte ihr den Mann gezeigt, als sie draußen vor dem Gerichtsgebäude im Auto der Familie gesessen und darauf gewartet hatten, dass ihre Eltern zurückkamen.
»Das ist er!«, hatte Tante Jenny gesagt. Amanda hatte einen großen, selbstbewussten jungen Mann gesehen, mit ersten Ansätzen von Fettpölsterchen um das Kinn und die Hüfte herum. Sein unsteter Blick aus blauen Augen war auf den Wagen und seine Insassen gefallen, und Amanda hatte mit dem unfehlbaren Instinkt eines Kindes gewusst, dass er ein Lügner war. Sie hatte es auch so gewusst, weil Stevie immer sehr vorsichtig gewesen war, wenn er eine Straße überquert hatte. Er hatte sie stets ermahnt, Fußgängerüberwege zu benutzen, den Knopf zu drücken und auf den grünen Mann in der Ampel zu warten. Wenn es keinen Überweg gibt, sieh zuerst nach links, dann nach rechts und wieder nach links, bevor du die Straße überquerst, hatte er zu ihr gesagt. Selbst heute noch, nach all den Jahren, hörte sie im Geiste seine kindliche Stimme, die ihr einen Vortrag über das richtige Verhalten auf der Straße hielt, während er sie fest an der Hand hielt.
Eine Woche nach der Verhandlung war die Mutter einer Freundin mit Amanda und ihrer eigenen Tochter zum Einkaufen gegangen. Als sie mit dem vollen Einkaufswagen über den Parkplatz vor dem Supermarkt gegangen waren, hatte Amanda ihn wiedergesehen. Sie waren geradewegs auf ihn zugegangen. Die Mutter der Freundin erkannte ihn nicht, und er erkannte Amanda nicht. Sie war nur ein Kind für ihn, eines von vielen. Er hatte sich mit ein paar Freunden unterhalten, die mit ihm zusammen vor seinem Wagen gestanden hatten. Einem Wagen mit einem nagelneuen Scheinwerfer und einer Beule im Kotflügel, die immer noch zu sehen war. Dem Wagen, der Stevie umgebracht hatte. Sie hatten dort gestanden und gelacht und Witze gemacht. Der Richter hatte ihm nicht einmal den Führerschein entzogen. Nicht, dass Amanda damals viel über Führerscheine gewusst hätte – doch heute wurde es ihr umso deutlicher bewusst, wenn sie daran
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